Grippeimpfung ab 60: sinnvoll – auch in einem „Mismatch“-Jahr? Blog#243

Kurzfazit
  • Die STIKO empfiehlt allen Menschen ab 60 Jahren eine jährliche Grippeimpfung mit einem Hochdosis‑ oder einem MF59‑adjuvantierten Impfstoff.
  • In der Saison 2025/26 zirkuliert ein neuer H3N2-Subtyp („Subklade K“), gegen den der Impfstoff weniger gut angepasst ist; der Schutz vor schweren Verläufen und Todesfällen bleibt für Über-60-Jährige aber relevant.
  • Für gesunde Menschen ab 60 überwiegt der Nutzen klar: Das Risiko für Krankenhausaufenthalt und Tod sinkt spürbar, Nebenwirkungen beschränken sich meist auf vorübergehende lokale und allgemeine Reaktionen.
Wenn du über 60 bist, begegnet dir die Frage nach der Grippeimpfung jedes Jahr aufs Neue – oft beim Routinebesuch in der Hausarztpraxis.​ In vielen Saisons bleibt das eine eher formale Entscheidung; in diesem Herbst ist die Ausgangslage anders, weil Fachstellen eine früh einsetzende, H3N2‑dominierte Grippewelle mit einem neu auftretenden Subkladen („Subklade K“) und teils reduzierter Impfstoffanpassung beschreiben.

Parallel dazu kursieren Schlagzeilen wie „Impfstoff schlecht angepasst“ oder „Virus entkommt dem Impfschutz“, was leicht zum Schluss verleitet: „Wenn der Impfstoff ohnehin nicht richtig passt, lohnt sich das für mich kaum.“​ Gerade deshalb lohnt sich eine nüchterne Einordnung: Was bedeutet dieser „Mismatch“ konkret – und wie lässt sich für jemanden zwischen 60 und 70 der Nutzen der Impfung realistisch bewerten?

Influenza ist nicht „nur eine Erkältung“ – und ab 60 kippt das Risiko

Influenza ist eine akute Virusinfektion mit abruptem Beginn, hohem Fieber, ausgeprägten Muskel‑ und Kopfschmerzen und deutlichem Krankheitsgefühl – deutlich mehr als ein banaler „grippaler Infekt“.
Das Virus kann insbesondere Herz‑Kreislauf‑ und Lungenerkrankungen destabilisieren und dadurch Komplikationen wie Pneumonien, Herzinfarkte oder Dekompensationen chronischer Leiden auslösen.

Mit zunehmendem Alter verschiebt sich die Statistik: Der Großteil der influenzaassoziierten Hospitalisationen und Todesfälle entfällt auf Menschen ab etwa 60 bis 65 Jahren, weil das Immunsystem im Rahmen der Immunoseneszenz weniger effizient reagiert.​ Kurz gesagt: Jüngere Erwachsene stecken viele Infektionen weg, während ab 60 die Reserven kleiner werden und eine „klassische“ Grippe schneller zur kardiovaskulären oder respiratorischen Belastungsprobe werden kann.

Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert‑Koch‑Institut (RKI) formuliert die offiziellen Impfempfehlungen für Deutschland und aktualisiert sie jährlich.​ Für die Influenzasaison 2025/26 empfiehlt STIKO allen Personen ab 60 Jahren die jährliche Grippeimpfung, vorzugsweise mit einem inaktivierten Hochdosis‑ oder einem MF59‑adjuvantierten Impfstoff.​ Diese „enhanced“ Impfstoffe werden bei Älteren als wirksamer eingestuft als klassische Standardimpfstoffe ohne Wirkverstärker.

Welche Impfstoffe gibt es – und was bedeutet der „Mismatch“?

Für Erwachsene ab 60 Jahren in Deutschland stehen für die Grippesaison 2025/2026 drei Impfstofftypen zur Verfügung: klassische trivalente Totimpfstoffe (Standard), Hochdosis-Impfstoffe und MF59-adjuvantisierte Impfstoffe.
  • Standardimpfstoffe: Diese tetravalenten oder nun trivalenten Totimpfstoffe mit üblicher Antigenmenge (z. B. Influvac® 2025/2026 von Viatris, Vaxigrip® 2025/2026 von Sanofi-Aventis Deutschland GmbH) eignen sich primär für jüngere Erwachsene ohne Risikofaktoren. Sie enthalten die WHO-empfohlenen Komponenten gegen A(H1N1), A(H3N2) und eine B-Linie.
  • Hochdosis‑Impfstoffe: Der Hauptvertreter ist Efluelda® (auch Efluelda Tetra® 2025/2026) von Sanofi Pasteur, der die Antigenmenge pro Stamm vervierfacht (60 µg HA/Stamm) für eine stärkere Antikörperantwort bei Älteren. Die STIKO empfiehlt diesen ab 60 Jahren aufgrund besserer Wirksamkeit gegenüber Standardimpfstoffen.
  • MF59‑adjuvantierte Impfstoffe: Fluad® (z. B. Fluad® 2025/2026 oder Fluad® Tetra) von CSL Seqirus enthält die Standard-Antigenmenge, verstärkt aber durch das Adjuvans MF59 die Immunantwortqualität und -breite bei immunabgeschwächten Menschen ab 60 Jahren. Die STIKO stuft diesen als gleichwertig zum Hochdosis-Impfstoff ein.
Mismatch-Erklärung: Ein „Mismatch“ tritt auf, wenn zirkulierende Viren von den im Impfstoff enthaltenen WHO-empfohlenen Stämmen (A(H1N1), A(H3N2), B) abweichen, was die Wirksamkeit mindert – unabhängig vom Typ. Hochdosis- und MF59-Impfstoffe mildern dies bei Älteren durch robustere Immunantwort teilweise ab.

Was ist in dieser Saison anders?

Seit dem Sommer 2025 setzt sich ein neuer H3N2‑Zweig („Subklade K“) durch, der sich genetisch und antigen von dem im Impfstoff enthaltenen H3N2‑Stamm unterscheidet.​ In experimentellen Analysen zeigen Antikörper, die gegen den Impfstoffstamm gebildet wurden, eine reduzierte Neutralisation dieser Variante – das ist der Hintergrund für Berichte über einen „schlechten Match“.​ Gleichzeitig zeigen erste Wirksamkeitsdaten aus England, dass der Impfstoff trotz Mismatch bei Erwachsenen eine Wirksamkeit von etwa 30–40% gegen influenzaassoziierte Notfall‑ und Krankenhausaufnahmen erreicht – ein typischer Bereich für Influenzaimpfstoffe.

Behörden wie ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) und nationale Institute betonen deshalb, dass der Schutz vor schweren Verläufen und Hospitalisationen, besonders bei älteren Menschen, weiterhin relevant ist und Risikogruppen ohne Verzögerung geimpft werden sollten.​ Praktisch heißt das: Der Schutz vor Infektion und milder Erkrankung ist in dieser Saison voraussichtlich reduziert, eine Ansteckung ist trotz Impfung relativ leicht möglich.​ Der Schutz vor Krankenhausaufenthalt und Tod bleibt jedoch messbar und macht bei älteren Erwachsenen einen relevanten Unterschied.

Wie gut schützt die Grippeimpfung Ü60 – in Zahlen gedacht?

Wichtiger als die Verhinderung jeder Infektion ist, um wie viel die Impfung das Risiko für Krankenhausaufenthalt und Tod senkt. Die folgenden Zahlen sind vereinfachte Modellrechnungen mit konservativen Annahmen – sie illustrieren Größenordnungen, keine exakten Prognosen.
  • Infektion: Für eine H3N2-dominierte Saison kann man bei Älteren ohne Impfung grob mit einem Erkrankungsrisiko von etwa 10 % rechnen. In einem Mismatch-Jahr mit nur etwa 20 % Wirksamkeit gegen Infektion sinkt dieses Risiko durch Impfung auf rund 8 %. Die absolute Risikoreduktion liegt also bei etwa 2 Prozentpunkten.
  • Hospitalisation: Setzt man für Über-60-Jährige ein jährliches Risiko von etwa 0,3 % (3 von 1.000) für eine influenzaassoziierte Hospitalisation an, reduziert eine Wirksamkeit von 30 % dieses Risiko auf etwa 0,21 % (gut 2 von 1.000). Pro 1.000 Geimpfte wird damit im Mittel ungefähr ein Krankenhausaufenthalt pro Saison vermieden.
  • Todesfall: Bei einem jährlichen influenzaassoziierten Sterberisiko von etwa 0,03 % (3 von 10.000) senkt eine Wirksamkeit von 35 % gegen Tod dieses Wert rechnerisch auf etwa 0,0195 % (rund 2 von 10.000). Absolut ist die Differenz klein, aber schon ein verhinderter Todesfall pro 10.000–20.000 Personen-Jahre ist gesundheitspolitisch relevant.
Was bedeutet das für Deutschland? In Deutschland leben rund 24 Millionen Menschen ab 60 Jahren. Wenn etwa die Hälfte geimpft ist (ca. 12 Millionen), dann entspricht die Größenordnung „ein verhinderter Krankenhausaufenthalt pro 1.000 Geimpfte“ rechnerisch etwa 12.000 vermiedenen Hospitalisationen pro Saison. Die Größenordnung „ein verhinderter Todesfall pro 10.000 Geimpfte“ entspräche rund 1.200 vermiedenen Todesfällen pro Saison. Auch das sind grobe Näherungen – sie zeigen aber, warum schon kleine absolute Risikoreduktionen pro Person auf Bevölkerungsebene eine sehr große Wirkung entfalten können.

MF59 vs. Hochdosis: Mechanismus und Besonderheiten

Hochdosis‑ und MF59‑adjuvantierte Impfstoffe verfolgen dasselbe Ziel: das mit dem Alter schwächer reagierende Immunsystem gezielt stärker zu aktivieren.​ Beim Hochdosis‑Impfstoff wird die Antigenmenge pro Virusstamm vervierfacht (60 statt 15 Mikrogramm Hämagglutinin), um eine kräftigere Antikörperantwort zu induzieren.​ Beim MF59‑adjuvantierten Impfstoff bleibt die Antigenmenge unverändert, dafür wird ein Adjuvans eingesetzt, das lokal wie ein „Alarmsignal“ wirkt und die Immunantwort qualitativ und quantitativ verstärkt.

Die STIKO bewertet beide Strategien als für Ältere geeignete „enhanced“ Optionen, die gegenüber Standardimpfstoffen ohne Wirkverstärker einen besseren Schutz bieten, ohne dass sich eine der beiden Varianten in allen Studien klar überlegen zeigt.

MF59 im Detail – kurz und wissenschaftlich

MF59(C.1) ist eine Öl‑in‑Wasser‑Emulsion aus Squalen‑Tröpfchen (etwa 160 Nanometer Durchmesser), stabilisiert durch Polysorbat 80 und Sorbitantrioleat sowie einen Citratpuffer aus Natriumcitrat und Citronensäure.​ Nach der Injektion löst diese Emulsion eine kontrollierte lokale Entzündungsreaktion aus, rekrutiert Monozyten, Makrophagen und dendritische Zellen und fördert die Aufnahme und Präsentation der Influenza‑Antigene.

Im Lymphknoten werden B‑ und T‑Zellen intensiver aktiviert; Studien zeigen höhere Antikörpertiter, eine größere Antikörpervielfalt und eine verbesserte Affinitätsreifung gegenüber homologen und heterologen Stämmen.​ Zudem werden T‑Helferzellen und polyfunktionale CD4‑/CD8‑T‑Zellen in stärkerem Maß stimuliert als bei vielen Standardimpfstoffen, was zur Reduktion der Krankheits­schwere beitragen kann.

Der entscheidende Punkt: MF59 verbessert nicht nur die Menge, sondern auch Breite und Qualität der Antikörper sowie ausgewählte T‑Zell‑Antworten.​ Gerade in Mismatch‑ oder Drift‑Jahren ist diese breitere Immunantwort plausibel von Vorteil, weil T‑Zellen und kreuzreaktive Antikörper weniger empfindlich auf einzelne Mutationen der Virusoberfläche reagieren als streng stammspezifische Antikörper.

Nebenwirkungen und Sicherheit – was ist zu erwarten?

Hochdosis‑ und MF59‑adjuvantierte Impfstoffe sind im Vergleich zu Standardimpfstoffen tendenziell reaktogener, das heißt, sie lösen häufiger vorübergehende lokale und systemische Reaktionen aus.
Das Nebenwirkungsprofil ist jedoch gut charakterisiert, und in großen Studien fanden sich keine konsistent erhöhten Raten schwerer unerwünschter Ereignisse im Vergleich zu Standardpräparaten.

Sehr häufig treten Schmerzen, Rötung oder Schwellung an der Einstichstelle sowie ein Spannungsgefühl im Oberarm auf; häufig sind Müdigkeit, Kopf‑ und Muskelschmerzen und gelegentlich leichtes Fieber oder Frösteln, meist für ein bis drei Tage.​ Schwere allergische Reaktionen sind sehr selten, und langjährige Sicherheitsdaten mit vielen Millionen verabreichter Dosen zeigen kein spezifisches Risikosignal, das gegen den Einsatz bei Älteren spräche; das Risiko durch eine Influenza‑Erkrankung selbst liegt deutlich höher.

Praktisches Vorgehen ab 60

Der empfohlene Zeitraum für die Grippeimpfung liegt im Herbst, idealerweise vor Beginn einer breiten Zirkulation – in einer Saison mit früher Aktivität wie 2025/26 eher etwas früher als zu spät.
In der Praxis genügt es, eines der für deine Altersgruppe geeigneten Präparate zu nutzen: bevorzugt ein Hochdosis‑ oder MF59‑adjuvantierter Impfstoff, ersatzweise ein verfügbarer Standardimpfstoff, wenn nichts anderes kurzfristig verfügbar ist – wichtiger als die Feindifferenz ist, dass du überhaupt geimpft wirst.

Besonders profitieren Menschen ab 60 mit Risikofaktoren wie Herz‑Kreislauf‑Erkrankungen, chronischen Lungenerkrankungen, Diabetes, Adipositas oder Immunsuppression, aber auch gesunde 60‑ bis 70‑Jährige haben ein deutlich höheres Risiko für schwere Verläufe als Jüngere.
Zurückhaltung ist vor allem bei akuten fieberhaften Erkrankungen oder bekannten schweren Allergien gegen Impfstoffbestandteile geboten; im Zweifel sollte die Entscheidung gemeinsam mit der Hausärztin oder dem Hausarzt erfolgen, inklusive Planung von Pneumokokken‑ und Covid‑Auffrischungen.

Ergänzend bleiben einfache Maßnahmen wie das Meiden unnötiger Menschenansammlungen in Innenräumen, regelmäßiges Lüften und – je nach persönlichem Risiko – zeitweiser Maskengebrauch sinnvoll; sie ersetzen die Impfung nicht, sondern ergänzen ihren Schutz.

Fazit

  • Ab 60 verschiebt sich das Verhältnis von Risiko und Nutzen klar zugunsten der Grippeimpfung – auch in einer Saison, in der der Impfstoff beim H3N2‑Stamm schlechter passt.
  • Hochdosis‑ und MF59‑Impfstoffe bieten älteren Menschen einen spürbar besseren Schutz vor schweren Verläufen als Standardimpfstoffe und haben ein über viele Jahre gut belegtes Sicherheitsprofil.
  • Wichtiger als die völlige Vermeidung jeder Infektion ist, dass du dein Risiko für Krankenhausaufenthalt und Tod mit einer planbaren, einmal jährlichen Maßnahme deutlich reduzierst.
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
Auf diesem Blog teile ich meine persönlichen Meinungen und Erfahrungen . Es ist wichtig zu betonen, dass ich weder Arzt noch Finanzberater bin. Jegliche Informationen, die ich in meinem Blog vorstelle, stellen weder Anlageempfehlungen noch Therapieempfehlungen dar. Für fundierte Entscheidungen in Bezug auf Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen empfehle ichsich umfassend zu informieren und bei Bedarf einen professioniellen Experten zu konsultieren.

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