Was GLP-1-Abnehmspritzen bei Sucht, Alzheimer und Depression leisten – und was (noch) nicht. Blog#248
Inzwischen wird untersucht, ob GLP‑1‑RA über den Stoffwechsel hinaus auch das zentrale Nervensystem beeinflussen – mit potenzieller Relevanz für Suchterkrankungen (z. B. Alkoholgebrauchsstörung), kognitive Störungen (z. B. Alzheimer-Krankheit) und depressive Symptome (z. B. Anhedonie). Für Alkohol liegt inzwischen auch klinische Evidenz aus einer randomisierten Studie vor; weltweit laufen zudem zahlreiche (mehr als ein Dutzend) randomisierte Studienprogramme zur Suchtbehandlung.
Wirkmechanismus: Wie gelangen die Moleküle ins Gehirn?
Damit ein Medikament im Gehirn wirken kann, muss es meist die sogenannte Blut-Hirn-Schranke überwinden – eine Barriere, die das Gehirn vor schädlichen Stoffen im Blut schützt.GLP-1-Agonisten gelangen nicht überall gleichmäßig ins Gehirn. Sie nutzen vor allem zirkumventrikuläre Organe (Areale mit relativ durchlässiger Blut-Hirn-Schranke) oder werden über spezifische Transportwege aufgenommen (z. B. Tanyzyten, spezialisierte Zellen an Grenzflächen des Gehirns). Von dort aus können sie Signale in tiefere Hirnregionen weitergeben. Einmal dort angekommen, wirken sie auf mehreren Ebenen:
- Neuroinflammation: Sie reduzieren Entzündungsprozesse im Gehirn, die bei fast allen neurodegenerativen Erkrankungen eine Rolle spielen.
- Belohnungssystem: Sie dämpfen dopaminerge Signalwege im Nucleus accumbens. Vereinfacht gesagt: Reize durch Alkohol oder Drogen werden als weniger „verstärkend“ erlebt, wodurch der Suchtdruck sinken kann.
- Metabolismus: Sie verbessern die Insulin-Signalwege im Gehirn, was für die Energieversorgung der Neuronen essenziell ist.
- Stress/Entzug: In Tiermodellen dämpft die Aktivierung von GLP‑1-Rezeptoren u. a. in der Amygdala Stresshormonanstiege, die Angst, Entzug und Craving begleiten können.
Status bei Suchterkrankungen: Die vielversprechendste Indikation?
Im Bereich der Suchtmedizin ist die Dynamik derzeit am größten – auch, weil seit Jahrzehnten nur wenige neue Wirkprinzipien etabliert wurden. Die Idee ist biologisch plausibel: Bereits frühe Arbeiten in Tiermodellen zeigten Effekte auf Suchtdruck und rückfallähnliches Verhalten. Beim Menschen stützen genetische Befunde (GLP‑1‑Rezeptor-Variante mit stärkerem Trinken) und post-mortem-Daten (erhöhte GLP‑1‑Rezeptordichte in Belohnungsarealen) die Relevanz des Systems.
- Alkoholkonsumstörung: Hier ist die Datenlage am stärksten. Eine randomisierte Studie berichtete, dass wöchentliche Semaglutid-Injektionen den Alkoholkonsum senken können. Frühere Studien mit älteren GLP‑1-Wirkstoffen (z. B. Exenatid) fielen dagegen eher negativ aus – ein Hinweis, dass Potenz, Dosis und Applikationsform relevant sind. Mehrere laufende Studien vergleichen hohe vs. niedrigere Dosierungen sowie Injektion vs. Tablette; teils wird zusätzlich fMRT eingesetzt, um die Reaktion des Belohnungssystems auf Alkoholreize zu erfassen. Parallel läuft eine große Phase-3-Studie bei Veteranen (ehemaligen Soldaten/Angehörigen der Streitkräfte); Ergebnisse werden für 2028 erwartet. Tirzepatid wird ebenfalls in Phase-2-Studien geprüft.
- Opioidkonsumstörung: Hier ist die Evidenz noch früh. In einer kleinen klinischen Studie mit Liraglutid wurde eine deutliche Reduktion des Opioid-Cravings berichtet (Größenordnung ~40%). Parallel laufen Studien mit Semaglutid, darunter auch größere akademische Programme; belastbare Endpunkte stehen noch aus.
- Nikotin & Kokain: Bei Nikotin waren erste Ergebnisse mit Dulaglutid ernüchternd, da keine klare Erhöhung der Abstinenzrate erreicht wurde. Bei Kokain zeigten Tiermodelle eine deutliche Reduktion von Drogensuchverhalten; erste Studien am Menschen sollen klären, ob sich dieser Effekt bestätigt.
Status bei Kognitiven Störungen: Ein Jahr der Enttäuschungen (2025)
Das Jahr 2025 war für die Hoffnung, GLP-1-Agonisten könnten Alzheimer oder Parkinson heilen, ein Dämpfer. Die klinischen Realitäten erwiesen sich als komplexer als die präklinischen Modelle.- Alzheimer-Krankheit: Alle Augen waren auf die großen Phase-3-Studien EVOKE und EVOKE+ gerichtet. Im November 2025 gab Novo Nordisk bekannt, dass orales Semaglutid den primären Endpunkt verfehlt hat: Es konnte den kognitiven Abbau bei Patienten im frühen Krankheitsstadium nicht signifikant verlangsamen. Zwar verbesserten sich bestimmte Biomarker (Entzündungswerte, Tau-Proteine), aber dies übersetzte sich nicht in einen spürbaren klinischen Nutzen für die Patienten.
- Parkinson-Krankheit: Auch hier gab es gemischte Nachrichten. Während eine Phase-2-Studie mit dem Wirkstoff Lixisenatid (LixiPark) noch eine Verlangsamung der motorischen Verschlechterung zeigte , scheiterte die größere Phase-3-Studie mit Exenatid (Exenatide-PD3). Die im Februar 2025 im Lancet veröffentlichten Ergebnisse zeigten keinen Vorteil gegenüber Placebo nach 96 Wochen.
Status bei Depressionen
Depressionen werden zunehmend auch als metabolische Störung verstanden („Metabolische Depression“). Da Entzündungen und Insulinresistenz im Gehirn depressive Symptome fördern können, werden GLP-1-Agonisten als neuartiger Ansatz getestet.- Aktuelle Forschung: Eine Phase-3-Studie untersucht Semaglutid bei Patienten, die sowohl an einer "Major Depression" als auch an Adipositas leiden.
- Zusatzdaten: In einer randomisierten Studie mit 72 Personen mit Depression über 16 Wochen zeigte Semaglutid keine signifikante Verbesserung der globalen Kognition, aber Verbesserungen in einzelnen Aspekten von Aufmerksamkeit und Gedächtnis.
- Hypothese: Die Hoffnung ist, dass durch die Reduktion der systemischen Entzündung und die Verbesserung des Selbstbildes (durch Gewichtsverlust) eine Linderung der Depression eintritt, insbesondere der Anhedonie (Freudlosigkeit), die oft schwer zu behandeln ist.
Fazit und Ausblick
GLP-1-Rezeptor-Agonisten werden über ihre metabolischen Effekte hinaus als mögliche Zusatzoptionen in der Neuropsychiatrie untersucht.- Suchtmedizin: Hier ist die klinische Evidenz derzeit am weitesten fortgeschritten, besonders bei der Alkoholgebrauchsstörung. Die bisherigen Daten liefern konsistente Hinweise auf weniger Suchtdruck und potenziell geringeren Konsum; die laufenden größeren Studien werden klären, wie robust und alltagsrelevant dieser Nutzen ist.
- Neurodegeneration: Die Ergebnisse sind bislang uneinheitlich. Zwar wurden in frühen Studien teils günstige Veränderungen bei Biomarkern beschrieben, große Phase-3-Studien (Semaglutid bei Alzheimer, Exenatid bei Parkinson) verfehlten jedoch ihre primären Endpunkte. Positiv daran ist: Es zeichnet sich klarer ab, welche Stellschrauben für künftige Studien entscheidend sind – insbesondere Krankheitsstadium, Patientenselektion, ausreichende Wirkstoffexposition und ggf. eine bessere ZNS-Verfügbarkeit.
Wichtig zu beachten: Ein zentraler Punkt bleibt die Trennung zwischen indirekten Effekten (z. B. Gewichtsverlust, bessere metabolische Parameter) und direkten ZNS-Effekten. Außerdem müssen Nebenwirkungen, Therapieabbrüche und mögliche Rückfälle nach Absetzen systematisch berücksichtigt werden.