HRV: Herzfrequenzvariabilität als Marker für Stress und Regeneration. Blog#247

In den letzten Jahren hat sich die Nutzung von Wearables an Handgelenk und Finger stark verbreitet. Smarte Ringe, Fitnessuhren und andere Wearables bringen Millionen Menschen täglich in Kontakt mit ihren eigenen Körperdaten: Schritte, Schlaf, Puls. Unter diesen Messwerten ist die Herzfrequenzvariabilität (Heart Rate Variability oder HRV) besonders informativ. Sie beschreibt die kurzfristigen Schwankungen der Zeitabstände zwischen Herzschlägen und dient als Marker für Belastung und Regeneration.

Ein gesundes Herz schlägt nicht wie ein Metronom

Intuitiv klingt es plausibel: Ein starkes Herz müsste gleichmäßig schlagen. Tatsächlich ist es umgekehrt. Ein gesundes Herz zeigt feine Unregelmäßigkeiten – selbst in Ruhe.

Wenn Dein Puls 60 Schläge pro Minute anzeigt, bedeutet das nicht, dass zwischen zwei Schlägen immer exakt 1,00 Sekunden liegen. In der Realität schwankt der Abstand: mal 0,85 Sekunden, mal 1,10. Diese minimalen Abstände zwischen zwei Herzschlägen (genauer: zwischen zwei R-Zacken im EKG bzw. den entsprechenden Intervallen) variieren ständig. Diese Variation ist die HRV.


Kurz erklärt: RMSSD und SDNN:
HRV ist kein einzelner Messwert, sondern wird über Kennzahlen beschrieben. In der Praxis begegnen Dir vor allem zwei:
  • RMSSD (root mean square of successive differences): Misst kurzfristige Schwankungen von Schlag zu Schlag und spiegelt besonders stark die parasympathische Aktivität (Regeneration, „Bremse“) wider. Grund: Der Parasympathikus (v. a. über den Vagusnerv) kann die Herzfrequenz innerhalb von Sekunden und damit von Schlag zu Schlag modulieren; sympathische Effekte wirken meist langsamer und prägen eher längerfristige Schwankungen. Viele Wearables nutzen RMSSD (oder eine nahe Variante) als Standard.
  • SDNN (standard deviation of NN intervals): Erfasst die Gesamtvariabilität über einen längeren Messzeitraum und enthält sowohl parasympathische als auch sympathische Anteile.
Als grobe Orientierung liegen RMSSD-Werte bei Erwachsenen häufig im Bereich zwischen 20 und 100 ms – abhängig von Alter, Fitness, Genetik und vor allem Messbedingungen. Entscheidender als „der perfekte Wert“ ist jedoch fast immer: Dein persönlicher Normalbereich.

HRV ist ein Fenster ins autonome Nervensystem

Die HRV ist so spannend, weil sie sehr eng mit dem autonomen Nervensystem (ANS) verknüpft ist – dem Teil des Nervensystems, der Körperfunktionen im Hintergrund reguliert: Herzschlag, Atmung, Gefäßtonus, Verdauung, Stressreaktionen.

Zwei Systeme spielen dabei gegeneinander (und idealerweise miteinander):
  • Sympathikus: das „Gaspedal“ – Aktivierung, Stress, Leistungsmodus → HRV tendenziell runter
  • Parasympathikus: die „Bremse“ – Ruhe, Regeneration (stark über den Vagusnerv) → HRV tendenziell rauf
Eine hohe HRV ist oft ein Hinweis darauf, dass der Körper gut erholt ist, flexibel auf Stress reagieren kann und die Regulation insgesamt stabil funktioniert. Eine niedrige HRV sieht man dagegen häufiger bei aktueller Belastung – körperlich oder psychisch –, bei Schlafmangel, hoher Trainingslast oder wenn die Regeneration zu kurz kommt.

Wichtig zu verstehen: Niedrige HRV ist nicht automatisch „krank“. Meist ist sie zunächst ein Zustandsmarker. Aussagekräftig wird es vor allem im Verlauf: Wie stark fällt sie ab, wie lange hält das an – und in welchem Kontext(Stress, Infekt, Training, Schlaf)?

Typische HRV-Orientierungswerte nach Alter

HRV sinkt im Mittel mit dem Alter, unter anderem weil parasympathische Einflüsse tendenziell abnehmen. Grobe RMSSD-Orientierung (Median-/Bereichswerte, je nach Datensatz und Messmethode variabel):
  • 20–29 Jahre: ca. 42–50 ms (häufig hohe Erholungsfähigkeit)
  • 45–54 Jahre: ca. 23–30 ms (spürbarer Rückgang; Lebensstil spielt stark hinein)
  • 65–74 Jahre: ca. 19–25 ms (niedriger, aber durchaus trainier- und verbesserbar)
Einordnung: Elite-Ausdauerathleten können deutlich höher liegen (oft >50 ms, teils erheblich mehr). Untrainierte Ältere liegen häufig niedriger – aber auch hier gilt: Trend schlägt Absolutwert.

Wie Wearables HRV messen – und warum die Nacht zählt

Früher war eine saubere HRV-Messung im Alltag praktisch nur mit EKG möglich. Moderne Wearables nutzen meist Photoplethysmographie (PPG): LEDs leuchten in die Haut, Sensoren erfassen Veränderungen des Blutvolumens und leiten daraus Schlag-zu-Schlag-Intervalle ab.

Die wichtigste Praxisregel: Die zuverlässigsten HRV-Daten bekommst Du, wenn äußere Einflüsse minimal sind – also nachts im Schlaf oder bei standardisierten Ruhemessungen (gleiche Uhrzeit, gleiche Position, gleiche Bedingungen). Bewegung, Kälte, Alkohol, spätes Essen oder auch Messartefakte können PPG-basierte Werte stärker verzerren als EKG.

Was Dir Deine HRV konkret sagen kann

Regelmäßig erhoben, wird HRV zu einem nützlichen Frühwarn- und Steuerungsinstrument:
  • Belastungssteuerung: Fällt Deine HRV deutlich unter Deine Baseline, kann das ein klares Signal für einen Regenerationstag sein.
  • Stress & beginnende Infekte: HRV-Veränderungen können vor spürbaren Symptomen auftreten (nicht beweisend, aber oft auffällig).
  • Schlafqualität: Eine stabile, höhere nächtliche HRV passt häufig zu guter Erholung; abrupte Einbrüche passen oft zu schlechtem Schlaf oder Belastung.
  • Lebensstil-Effekte: Alkohol, Schlafmangel, spätes schweres Essen oder anhaltender psychischer Stress sind klassische HRV-Drücker – oft messbar, bevor man es „fühlt“.
Wichtig: Beurteile die HRV über Trends (mehrere Tage), nicht über einzelne Tageswerte.

Die wichtigste Regel: Vergleiche Dich nur mit Dir selbst

HRV ist stark individuell geprägt. Genetik, Trainingszustand, Alter, Medikamente, Schlaf, sogar Flüssigkeitshaushalt spielen hinein. Darum ist die eigene Baseline der Goldstandard. Praktisch bedeutet das:
  • Miss regelmäßig (idealerweise nachts).
  • Achte auf Verläufe über Tage/Wochen, nicht auf Ausreißer.
  • Frage: Welche Faktoren verändern meinen Wert, und passt das zum Kontext (Schlaf, Training, Stress)?

Fazit

  • Ein gesundes Herz zeigt kleine Schwankungen der Schlagabstände.
  • HRV ist ein Trendmarker für Belastung und Regeneration; am zuverlässigsten bei standardisierten Messungen (v. a. nachts).
  • Aussagekräftiger als der Vergleich mit anderen ist die Veränderung gegenüber der eigenen Baseline.
_____________________________________________________________________________
Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
Auf diesem Blog teile ich meine persönlichen Meinungen und Erfahrungen . Es ist wichtig zu betonen, dass ich weder Arzt noch Finanzberater bin. Jegliche Informationen, die ich in meinem Blog vorstelle, stellen weder Anlageempfehlungen noch Therapieempfehlungen dar. Für fundierte Entscheidungen in Bezug auf Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen empfehle ichsich umfassend zu informieren und bei Bedarf einen professioniellen Experten zu konsultieren.

Posts

Steueroptimierung für Dein Aktien-ETF-Portfolio! Blog#87

Der Interne Zinsfuß und seine Bedeutung für Aktien-Anleger! Blog#67

Vermögensaufbau und Altersvorsorge – meine Erfahrungen der letzten 35 Jahre! Blog#2

Paxlovid - eine hochwirksame Pille für Covid-19? Blog#1

Aktien-Weltportfolio mit ETFs! Blog#45

Wegovy® (Semaglutid) - ein neues, gut wirksames Medikament zur Gewichtsreduktion! Blog#13

NNC2215: Ein intelligentes Insulin zur Transformation der Diabetesbehandlung! Blog#127

„Die with Zero“: Die Kunst, Geld für Lebenserlebnisse zu nutzen. Blog#92

Overnight Oats: Wissenschaftliche Erkenntnisse zu gesunden Haferflocken. Blog#151

Persönlicher Rückblick auf das Börsenjahr 2024 und Ausblick 2025! Blog#144