Vier Aminosäuren, die das Altern bremsen – was wir vom Nacktmull lernen können. Blog#230

Die Suche nach dem Schlüssel zu einem langen und gesunden Leben fasziniert die Menschheit seit jeher. Während wir nach Wegen suchen, den Alterungsprozess zu verlangsamen, bietet die Natur selbst oft die erstaunlichsten Lösungen. Eines der faszinierendsten Beispiele liefert der Nacktmull (Heterocephalus glaber). 

Dieses unscheinbare Nagetier aus Ostafrika kann bis zu 40 Jahre alt werden – das Zehnfache (!) seiner ähnlich großen Verwandten – und zeigt eine beeindruckende Resistenz gegenüber Krebs und typischen Alterskrankheiten. Eine aktuelle in Science veröffentlichte Studie (LINK) enthüllt nun ein zentrales Puzzlestück: eine modifizierte Version des Proteins cGAS, das bei Menschen und Mäusen als Bremse der DNA-Reparatur wirkt, beim Nacktmull jedoch zum Reparatur-Beschleuniger wird.

Vom DNA-Sensor zum Reparatur-Booster

cGAS (cyclic GMP–AMP synthase) ist in Säugetieren vor allem als Wächter des angeborenen Immunsystems bekannt. Es erkennt DNA-Fragmente, die sich außerhalb des Zellkerns – etwa im Zytoplasma – befinden und dort eigentlich nicht vorkommen sollten. Diese fehlplatzierte DNA ist ein Warnsignal für Zellschäden oder Virusinfektionen und aktiviert cGAS, das daraufhin die Bildung des Botenstoffs cGAMP anstößt. Dieser wiederum stimuliert den STING-Signalweg und löst so eine koordinierte Immunreaktion aus.

Doch cGAS hat eine zweite, weniger bekannte Funktion: Es beeinflusst die homologe Rekombination (HR), einen zentralen Reparaturweg für DNA-Doppelstrangbrüche. DNA-Reparaturmechanismen sind ein zentrales Element biologischer Langlebigkeit: Sie sorgen dafür, dass Zellen trotz ständiger Schäden durch Stoffwechsel, Strahlung oder Alterungsprozesse funktionsfähig bleiben. Ihre Effizienz bestimmt maßgeblich, wie schnell Organismen altern und wie gut sie sich vor Krankheiten schützen können.
  • Beim Menschen und bei Mäusen wirkt cGAS hemmend – es verlangsamt die Reparatur.
  • Beim Nacktmull geschieht das Gegenteil: cGAS steigert die Effizienz der HR-Reparatur dosisabhängig und fördert so die Stabilität des Genoms.
Diese Funktionsumkehr basiert auf einer minimalen, aber entscheidenden Veränderung: dem Austausch von nur vier Aminosäuren in der C-terminalen Domäne des Proteins.

Die molekulare Feinjustierung

Die vier kritischen Aminosäureänderungen – A463S, D511E, H527Y und S530T – verhindern, dass cGAS nach seiner Arbeit rasch durch Ubiquitinierung für den Abbau markiert wird. Dadurch verbleibt es länger am Ort des DNA-Schadens, wo es als Plattform für wichtige Reparaturfaktoren wie FANCI und RAD50 fungiert.
  • Verlängerte Chromatinbindung: Nacktmull-cGAS verbleibt länger an DNA-Bruchstellen als die menschliche Variante.
  • Geringere Ubiquitinierung: Weniger Abbau-Signale bedeuten längere Aktivität.
  • Verbessertes Reparatursystem: Die Proteine FANCI und RAD50 verbinden sich schneller und stabiler miteinander und treiben so die DNA-Reparatur wirkungsvoller an.
Als die Forscher diese vier Aminosäuren im Nacktmull-Protein zurück auf die menschliche Variante mutierten, ging der Reparaturvorteil vollständig verloren – ein klarer Beweis für ihre zentrale Rolle.

Verjüngung im Praxistest

Um die biologische Relevanz der Entdeckung zu prüfen, übertrug das Forschungsteam das Nacktmull-cGAS in bewährte Modellorganismen wie Fruchtfliegen und Mäuse. Beide gelten in der biomedizinischen Forschung als Standard, da ihre Genome vollständig charakterisiert sind, ihre Lebenszyklen kurz verlaufen und viele ihrer zellulären Signalwege dem Menschen ähneln. Solche Modelle erlauben es, grundlegende Mechanismen des Alterns und der DNA-Reparatur vergleichend zu untersuchen und Rückschlüsse auf mögliche Wirkungen in menschlichen Zellen zu ziehen. Dabei setzten die Forscher häufig eine enzymatisch inaktive Variante des Proteins ein, um unerwünschte Immunreaktionen zu vermeiden. Die Resultate waren eindrucksvoll:
  • Fruchtfliegen: Längere mittlere und maximale Lebensspanne, verbesserte Darmfunktion und verzögertes Altern.
  • Mäuse: 17 Monate alte Tiere (etwa mittleres Alter) erhielten per AAV-basierter Gentherapie das Nacktmull-cGAS – ein Verfahren, bei dem harmlose Adeno-assoziierte Viren als Transportvehikel dienen, um gezielt Gene in Zellen einzuschleusen. Nach zwei Monaten zeigten die behandelten Mäuse weniger Gebrechlichkeit, weniger graue Haare, niedrigere Entzündungsmarker (IgG, IL-6) und weniger alternde, sogenannte seneszente Zellen in Leber, Niere und Darm.
Besonders bemerkenswert: In keinem der Tests erhöhte Nacktmull-cGAS das Krebsrisiko, im Gegenteil – es wirkte tumorrepressiv.

Bedeutung für die Alternsforschung

Die Studie stellt ein neues Konzept in der Alternsforschung vor. Anstatt bekannte Reparaturproteine einfach zu verstärken, veränderten die Forscher ein Molekül, das normalerweise die DNA-Reparatur bremst – und machten es zu einem Beschleuniger. Mit anderen Worten: Eine biologische Bremse wurde in ein Gaspedal verwandelt. Dieser neuartige Ansatz könnte den Weg eröffnen, die Reparaturfähigkeit des menschlichen Erbguts im Alter gezielt zu stärken.

Risiken und Herausforderungen

Eine direkte Anwendung dieses Mechanismus beim Menschen ist derzeit nicht realistisch. Die in Mäusen genutzte Gentherapie mit Adeno-assoziierten Viren (AAV) ist noch nicht für den breiten klinischen Einsatz geeignet.

Wahrscheinlicher ist ein Ansatz, das körpereigene menschliche cGAS gezielt so zu verändern, dass es seine hemmende Wirkung auf die homologe Rekombination (HR) verliert. Dies könnte langfristig durch kleine Moleküle oder gezielte Eingriffe in Protein-Protein-Interaktionen erreicht werden – vergleichbar mit Strategien aus der Krebsforschung. Dort modulieren Medikamente wie die PARP-Inhibitoren (z. B. Olaparib) spezifische Reparaturwege in Tumorzellen und zeigen, dass sich komplexe zelluläre Prozesse durch kleine Moleküle präzise steuern lassen. Ein ähnliches Prinzip könnte künftig auch bei der gezielten Modifikation von cGAS Anwendung finden.

Offen bleiben zentrale Fragen:
  • Ist eine dauerhaft gesteigerte DNA-Reparatur ohne schädliche Nebenwirkungen möglich?
  • Wie lässt sich verhindern, dass geschädigte Zellen dadurch überleben und womöglich entarten?
  • Kann der Effekt zeitlich und räumlich begrenzt werden, um Risiken zu minimieren?

Fazit

Die Entdeckung des reparaturfördernden Nacktmull-cGAS zeigt, dass die Evolution sogar die Funktion eines Proteins grundlegend umkehren kann – aus einer molekularen Bremse wird ein Gaspedal.

Ob und in welcher Form sich dieses Prinzip eines Tages auf den Menschen übertragen lässt, ist noch offen. Doch der Ansatz, natürliche Hemmmechanismen der DNA-Reparatur gezielt zu lösen, eröffnet neue Perspektiven für die Forschung zu gesundem Altern.

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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
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