Hexastickstoff (N₆): Ein Meilenstein in der Stickstoffchemie und eine der energiereichsten bekannten Substanzen. Blog#214

Molekularer Stickstoff (N₂) ist unter Normalbedingungen extrem stabil. Er macht rund 78% der Erdatmosphäre aus und gilt als chemisch weitgehend inert – eine Folge seiner kurzen, dreifach-gebundenen Zweierstruktur mit sehr hoher Bindungsenergie. Die Vorstellung, größere rein stickstoffhaltige Moleküle – sogenannte Polystickstoff-Verbindungen – synthetisch herzustellen, begleitet die anorganische Chemie seit Jahrzehnten. Solche Moleküle wären potenziell hochexplosiv, da ihr Zerfall ausschließlich zu N₂ führen und dabei sehr viel Energie freisetzen würde.

Lange war die Existenz neutraler Stickstoffmoleküle mit mehr als zwei Atomen nur theoretisch vorhergesagt – zu instabil, zu schwer handhabbar. Nun ist einem Forschungsteam der Justus-Liebig-Universität Gießen erstmals der Nachweis und die Isolierung von Hexastickstoff (N₆) gelungen – ein lineares Molekül aus sechs Stickstoffatomen (LINK). Damit wurde ein seit Langem verfolgtes Ziel erreicht – und das öffnet neue Türen in der Stickstoffchemie.

Die Synthese: Ein kontrollierter Weg zu N₆

Die Herausforderung: Polystickstoff-Verbindungen sind hochenergetisch und sehr instabil. Das Gießener Team entwickelte daher eine elegante Synthesestrategie. Gasförmiges Chlor (Cl₂) oder Brom (Br₂) wurde bei Raumtemperatur mit festem Silberazid (AgN₃) umgesetzt. Dabei entsteht flüchtiges Hexastickstoff (N₆) als Reaktionsprodukt, das sofort bei 10 Kelvin (−263 °C) in einer Matrix aus Argonkristallen eingefroren wurden – diese sogenannte Matrix-Isolation schützt das N₆-Molekül vor dem sofortigen Zerfall. 

Nur so konnte das sehr kurzlebige N₆-Molekül stabilisiert und spektroskopisch untersucht werden. Der endgültige Beweis für die Struktur gelang durch eine Kombination aus:
  • IR- und UV/Vis-Spektroskopie, die charakteristische Schwingungs- und Elektronenübergänge sichtbar machte, 
  • Isotopenmarkierung mit 15N, wodurch sich die theoretisch vorhergesagten Isotopenverschiebungen in den Spektren experimentell nachvollziehen ließen. 
Auch die zeitweise Deposition von reinem N₆ als extrem dünner Film bei -196 °C (flüssiger Stickstoff) gelang – ein Indiz für eine gewisse Robustheit unter kryogenen Bedingungen. 

Energetik: Hochreaktiv, aber kinetisch stabilisiert

Hexastickstoff ist thermodynamisch extrem instabil – sein Zerfall in drei Stickstoffmoleküle (3 × N₂) setzt mehr Energie pro Gramm frei als TNT oder HMX, zwei der stärksten bekannten Explosivstoffe. Energetisch gesehen befindet sich N₆ daher auf einem hohen energetischen Plateau, doch eine entscheidende Rolle spielt die Aktivierungsenergie – die Energiebarriere, die für den Zerfall erst überwunden werden muss.

Diese Barriere beträgt laut quantenmechanischen Berechnungen etwa 14,8 kcal/mol – genug, um das Molekül bei sehr tiefen Temperaturen kinetisch zu stabilisieren. Abschätzungen zufolge hat N₆ bei 77 K (-196 °C; flüssiger Stickstoff) eine Halbwertszeit von über 100 Jahren, während es bei Raumtemperatur 298 K (25 °C) bereits nach 35 Millisekunden zerfällt.

Das Molekül kann vereinfacht als lineare Kette von sechs N-Atomen beschrieben werden – ähnlich wie zwei verbundene Azid-Gruppen (–N=N⁺=N⁻–). Seine elektronische Struktur, insbesondere die Delokalisierung der Elektronendichte, trägt zur überraschenden Stabilität in der Matrix bei. 

Anwendungen: Potenzial und Probleme

Der faszinierende Charakter von N₆ liegt nicht nur im chemischen Konzept, sondern auch im praktischen Potenzial: Ein reiner, sauberer Energieträger, der bei der Freisetzung nur unschädliches N₂ hinterlässt. Tatsächlich setzt N₆ bei Zerfall zu 3 N₂-Molekülen mehr als die doppelte Energie pro Masse frei als TNT.

Doch die Anwendungsmöglichkeiten stehen vor erheblichen Hürden:
  • Kryogene Lagerung: Ohne Tiefkühlung zerfällt N₆ in Sekundenbruchteilen. 
  • Sicherheitsrisiko: Kleinste Energiezufuhr könnte eine unkontrollierte Detonation auslösen. 
  • Skalierbarkeit: Der Syntheseweg ist aufwändig und bisher nicht für größere Mengen geeignet. 
Denkbar wäre allenfalls die Nutzung als hochenergetisches Zwischenprodukt für die Synthese spezieller Materialien oder als Modellmolekül für weiterführende Grundlagenforschung. 

Fazit

  • Die erstmalige Isolierung von Hexastickstoff ist ein bedeutender Meilenstein der Stickstoffchemie. Erstmals konnte gezeigt werden, dass ein neutrales N₆-Molekül existiert – und gezielt hergestellt und spektroskopisch charakterisiert werden kann. 
  • Auch wenn die praktische Nutzung als Energieträger derzeit unrealistisch erscheint, liefert dieser Fund einen wichtigen konzeptionellen Beitrag zum Verständnis und zur Weiterentwicklung der Hochenergie-Stickstoffchemie. 
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
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