Lesebrille ade? Wie die neuen Aceclidin-Augentropfen die Alterssichtigkeit behandeln. Blog#241
Die Presbyopie, umgangssprachlich Alterssichtigkeit oder genauer Altersweitsichtigkeit, betrifft früher oder später fast jeden: das Smartphone verschwimmt, die Speisekarte muss auf Armeslänge gehalten werden. Doch was steckt dahinter – und was kann man dagegen tun? Presbyopie entsteht durch Linsenverhärtung und geschwächten Ziliarmuskel – eine natürliche Alterung ab 45 Jahren. Bisherige Optionen: Brillen, Linsen oder OP. Aceclidin als Tropfen (VIZZ) bietet nun eine nicht-invasive Alternative.
Aceclidin gehört zur Klasse der Parasympathomimetika (Cholinergika). Es wirkt als direkter Agonist an den muskarinischen Acetylcholinrezeptoren (mAChR) im Auge. Dort löst es eine gezielte Kontraktion des Musculus sphincter pupillae, des ringförmigen Schließmuskels der Iris, aus. Die Folge ist eine deutliche Pupillenverengung (Miosis) auf einen Durchmesser von ca. 1,6 mm bis 2,0 mm. Diese Verengung erzeugt einen rein physikalischen Lochblenden-Effekt, auch "Pinhole-Effekt" genannt. Ähnlich wie die Blende einer Kamera blendet die kleine Pupille unscharfes Streulicht aus den Randbereichen aus und erhöht die Tiefenschärfe des Auges drastisch. Dadurch werden Objekte in der Nähe wieder scharf auf der Netzhaut abgebildet, ohne dass das Auge aktiv fokussieren muss.
Das wichtigste Alleinstellungsmerkmal von Aceclidin ist seine hohe funktionelle Selektivität. Im Gegensatz zu älteren Wirkstoffen wie Pilocarpin stimuliert Aceclidin den Ziliarmuskel kaum. Dieser Muskel ist für die Akkommodation, also die aktive Fokussierung der Linse, zuständig. Ältere Miotika wie Pilocarpin reizen diesen Muskel stark, was zu einem unangenehmen Akkommodationskrampf (in der Fachliteratur auch "Brow Ache" genannt) und einer künstlichen Kurzsichtigkeit führt. Dies verschlechtert unweigerlich die Sicht in die Ferne. Aceclidin entkoppelt diese beiden Effekte: Es verengt die Pupille für die Nahsicht, lässt aber den für die Fernsicht entscheidenden Ziliarmuskel weitgehend unberührt. Das Ergebnis ist eine verbesserte Nahsicht bei unbeeinträchtigter Fernsicht. Dieser Unterschied lässt sich quantifizieren, wenn man das Verhältnis der Aktivierung von Pupillen- zu Ziliarmuskel betrachtet:
Aceclidin: Ein bekannter Wirkstoff in neuer Mission
Aceclidin, chemisch bekannt als 1-Azabicyclo[2.2.2]oct-3-yl acetat, ist in der Augenheilkunde kein Unbekannter. Der Wirkstoff wurde historisch bereits zur Behandlung des grünen Stars (Glaukom) unter Handelsnamen wie Glaucostat eingesetzt. Seine Renaissance erlebt er jedoch durch eine neue Indikation: Vor wenigen Wochen hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA das Präparat VIZZ™ (eine 1,44 % Aceclidin-Lösung) zur Behandlung der Presbyopie zugelassen.Aceclidin gehört zur Klasse der Parasympathomimetika (Cholinergika). Es wirkt als direkter Agonist an den muskarinischen Acetylcholinrezeptoren (mAChR) im Auge. Dort löst es eine gezielte Kontraktion des Musculus sphincter pupillae, des ringförmigen Schließmuskels der Iris, aus. Die Folge ist eine deutliche Pupillenverengung (Miosis) auf einen Durchmesser von ca. 1,6 mm bis 2,0 mm. Diese Verengung erzeugt einen rein physikalischen Lochblenden-Effekt, auch "Pinhole-Effekt" genannt. Ähnlich wie die Blende einer Kamera blendet die kleine Pupille unscharfes Streulicht aus den Randbereichen aus und erhöht die Tiefenschärfe des Auges drastisch. Dadurch werden Objekte in der Nähe wieder scharf auf der Netzhaut abgebildet, ohne dass das Auge aktiv fokussieren muss.
Das wichtigste Alleinstellungsmerkmal von Aceclidin ist seine hohe funktionelle Selektivität. Im Gegensatz zu älteren Wirkstoffen wie Pilocarpin stimuliert Aceclidin den Ziliarmuskel kaum. Dieser Muskel ist für die Akkommodation, also die aktive Fokussierung der Linse, zuständig. Ältere Miotika wie Pilocarpin reizen diesen Muskel stark, was zu einem unangenehmen Akkommodationskrampf (in der Fachliteratur auch "Brow Ache" genannt) und einer künstlichen Kurzsichtigkeit führt. Dies verschlechtert unweigerlich die Sicht in die Ferne. Aceclidin entkoppelt diese beiden Effekte: Es verengt die Pupille für die Nahsicht, lässt aber den für die Fernsicht entscheidenden Ziliarmuskel weitgehend unberührt. Das Ergebnis ist eine verbesserte Nahsicht bei unbeeinträchtigter Fernsicht. Dieser Unterschied lässt sich quantifizieren, wenn man das Verhältnis der Aktivierung von Pupillen- zu Ziliarmuskel betrachtet:
- Pilocarpin: Verhältnis ca. 1.5 : 1 (wirkt fast gleich stark auf beide Muskeln)
- Aceclidin: Verhältnis ca. 28 : 1 (wirkt fast 30-mal stärker auf die Pupille als auf den Ziliarmuskel)
Ein tieferer Einblick: Die Interaktion mit Rezeptor-Subtypen
Interessanterweise ist Aceclidin auf reiner Bindungsebene nicht rezeptor-selektiv. Es bindet an alle fünf bekannten Muskarinrezeptor-Subtypen (M1-M5) mit einer ähnlichen Affinität. Die klinische Überlegenheit beruht stattdessen auf einer "funktionellen Selektivität" auf der Gewebe-Ebene. Aceclidin wirkt als starker Agonist am Ringmuskel der Iris, aber nur als schwacher Teilagonist am Ziliarmuskel. Studien am Ziliarmuskel von Rhesusaffen konnten zudem zeigen, dass der M3-Rezeptor der vorherrschende Subtyp ist, der die Kontraktion in diesem für die Akkommodation zuständigen Muskel vermittelt.Pharmakokinetik und Metabolismus
Die pharmakokinetischen Eigenschaften von Aceclidin sind ideal für eine lokale Anwendung am Auge:- Anwendung und Wirkdauer: Ein- bis zweimal täglich topisch als Augentropfen im Doppel-Tropfen-Regime (zwei Tropfen im Abstand von etwa 2 Minuten); die Wirkung setzt nach rund 30 Minuten ein und hält im Mittel bis zu 10 Stunden an.
- Metabolismus: Der Wirkstoff wird im Auge durch körpereigene Esterasen rasch zu dem pharmakologisch weitgehend inaktiven Hauptmetaboliten 3-Quinuclidinol (3-Q) abgebaut.
- Systemische Exposition: Aufgrund der schnellen lokalen Inaktivierung ist die Aufnahme in den Blutkreislauf minimal; die systemische Belastung des Organismus gilt als sehr gering.
Ergebnisse der klinischen Phase-III-Studien
Die Zulassung in den USA basierte auf den überzeugenden Ergebnissen der Phase-III-Studien CLARITY-1, CLARITY-2 und CLARITY-3. Der primäre Endpunkt dieser Studien war der Anteil der Patienten, die unter normalen Lichtbedingungen eine Verbesserung der Nahsehschärfe um drei oder mehr Zeilen (auf einer Sehtafel) erreichten, ohne dabei mehr als eine Zeile an Fernsicht zu verlieren. Die Ergebnisse der CLARITY-2 Studie waren eindeutig: 71 % der Teilnehmer in der Aceclidin-Gruppe erreichten diesen Endpunkt, verglichen mit nur 8 % in der Placebo-Gruppe (Trägerlösung ohne Wirkstoff).Sicherheitsprofil und Nebenwirkungen
Aceclidin wurde in den klinischen Studien gut vertragen. Die meisten Nebenwirkungen waren mild und vorübergehend. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse (>5 %) waren:- Reizung an der Applikationsstelle: 20 %
- Gedämpfte Sicht ("Dim Vision"): 16 %
- Kopfschmerzen: 13 %
- Konjunktivale Hyperämie (Bindehautrötung): 8 %
- Okuläre Hyperämie (Allgemeine Augenrötung): 7 %
Die gedämpfte Sicht ist keine unerwünschte Nebenwirkung im klassischen Sinne, sondern die direkte und physikalisch unvermeidbare Kehrseite des Wirkmechanismus. Die erhöhte Tiefenschärfe wird mit einer reduzierten Lichtaufnahme "erkauft". Da die verengte Pupille weniger Licht ins Auge lässt, kann dies das Sehen bei Dämmerung oder in dunklen Räumen, beispielsweise beim Autofahren bei Nacht, deutlich erschweren.
Zulassung, Verfügbarkeit und Ausblick
Aceclidin ist für die Indikation Presbyopie seit 2025 in den USA unter dem Handelsnamen VIZZ zugelassen und verfügbar. Für diese Indikation wurde in Deutschland bzw. der EU bislang keine Zulassung erteilt. Ob und wann eine Markteinführung in Europa geplant ist, ist derzeit unklar. Laut Hersteller-Website und gängigen Preisportalen liegen die Kosten derzeit bei 79 US-Dollar pro Monat (25 Dosen) bei Bezug über die ePharmacy.Presbyopie gilt in den USA als „Vision condition“ und wird von vielen Versicherern nicht als medizinische Notwendigkeit eingestuft – VIZZ ist daher überwiegend ein Selbstzahlerprodukt. Trotzdem sehen Analysten in VIZZ ein erhebliches Marktpotenzial, da in den USA über 120 Millionen Erwachsene von Presbyopie betroffen sind und damit ein großer Selbstzahlermarkt entsteht.
Fazit
Aceclidin stellt eine wirksame und nicht-invasive Behandlungsoption für die Alterssichtigkeit dar. Durch seinen einzigartigen, selektiven Pinhole-Effekt verbessert es die Nahsicht deutlich, ohne die für den Alltag so wichtige Fernsicht zu beeinträchtigen. Die ideale Zielgruppe sind Erwachsene mit Presbyopie, die eine flexible Alternative zur Lesebrille für Beruf und Freizeit suchen. Sie sollten sich jedoch der Einschränkungen bewusst sein, insbesondere der reduzierten Sehfähigkeit bei schlechten Lichtverhältnissen, und diese gegen den Gewinn an Brillenfreiheit abwägen._____________________________________________________________________________
Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
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