Alzheimer-Therapie mit Lithium: Stand der Forschung und offene Fragen. Blog#219
Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz und betrifft weltweit mehr als 55 Millionen Menschen. Trotz jahrzehntelanger Forschung existiert bis heute keine kausale Therapie. Die zugelassenen Medikamente können Symptome allenfalls etwas verzögern, nicht aber das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten. Neuere spannende wissenschaftliche Arbeiten, unter anderem von der Harvard Medical School, rücken den Lithiumgehalt im Gehirn in den Mittelpunkt der Betrachtung (LINK).
Lithiumorotat zeigte in Mausmodellen:
Für die klinische Entwicklung kämen daher vor allem Einrichtungen und Initiativen infrage, die nicht gewinnorientiert arbeiten:
Eine Selbstmedikation ist daher nicht empfehlenswert. Jede Anwendung sollte ärztlich indiziert und überwacht werden, idealerweise im Rahmen einer klinischen Studie.
Zusammenfassung
Dabei steht die Hypothese im Raum, dass ein erniedrigter Lithiumspiegel nicht nur eine Folge, sondern möglicherweise ein Risikofaktor für die Entstehung von Alzheimer sein könnte. Präklinische Daten deuten zudem darauf hin, dass bestimmte Lithiumverbindungen präventive und therapeutische Effekte entfalten könnten.
Eine aktuelle, in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlichte, Untersuchung der Harvard Medical School analysierte postmortem gewonnene Gehirnproben mithilfe der hochauflösenden induktiv gekoppelten Plasma-Massenspektrometrie (ICP-MS). Die Ergebnisse: Der Lithiumgehalt im präfrontalen Kortex war bei Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und insbesondere bei Alzheimer signifikant niedriger als bei kognitiv gesunden Kontrollen. Parallel gemessene Blutproben derselben Personen zeigten dagegen keine Unterschiede – ein Hinweis auf eine lokal begrenzte Störung der Lithiumhomöostase im Gehirn.
Ergänzend wurde mithilfe von Laser-Mikrodissektion und Elementanalyse gezeigt, dass sich Lithium vermehrt in Amyloid-Plaques anreichert. Dadurch könnte dem umgebenden Gewebe funktionell verfügbares Lithium entzogen werden. Ob diese Bindung eine Ursache oder Folge der Pathologie ist, bleibt offen.
Eine dänische Kohortenstudie mit rund 800.000 Personen und mehr als zehnjähriger Nachbeobachtung fand: In Regionen mit höherem natürlichem Lithiumgehalt im Trinkwasser traten Demenzen statistisch signifikant seltener auf. Der Effekt war moderat und beweist keinen ursächlichen Zusammenhang. Solche Korrelationen können durch zahlreiche Umwelt- oder Lebensstilfaktoren beeinflusst werden.
Langzeiteinnahme bei bipolarer Störung
Mehrere Beobachtungsstudien berichten, dass Patienten, die im Rahmen einer bipolaren Erkrankung über viele Jahre Lithium erhielten, ein deutlich reduziertes Risiko hatten, an Demenz oder Alzheimer zu erkranken. Auch hier sind Störfaktoren möglich: Personen in stabiler psychiatrischer Langzeitbehandlung unterscheiden sich oft in vielen weiteren Aspekten von der Allgemeinbevölkerung.
Randomisierte Studie bei milder kognitiver Beeinträchtigung (MCI)
Eine kleine, randomisierte, placebokontrollierte Studie untersuchte die Wirkung einer niedrig dosierten Lithiumgabe bei älteren Patienten mit MCI. Die Lithiumgruppe zeigte über mehrere Monate eine Stabilisierung der kognitiven Leistungsfähigkeit und eine verzögerte Progression zu Alzheimer. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl und begrenzten Studiendauer sind diese Ergebnisse als Proof-of-Concept zu werten, nicht als klinischer Nachweis.
Zwischenfazit: Die Gesamtheit dieser Humanbefunde liefert konsistente, aber nicht ausreichende Hinweise auf einen potenziellen Schutzeffekt. Für belastbare Aussagen sind große, methodisch robuste Phase-IIb/III-Studien mit klar definierten klinischen Endpunkten erforderlich.
Lithium im Gehirn – Physiologische Rolle und Veränderungen bei Alzheimer
Lithium ist vor allem als Wirkstoff gegen bipolare Störungen bekannt, wo es in Form von Lithiumcarbonat seit Jahrzehnten eingesetzt wird. Über seine physiologische Rolle im gesunden Gehirn ist weniger bekannt, doch gibt es Hinweise auf eine Beteiligung an Signalwegen, der Genexpression, der Synapsenstabilität sowie der Hemmung von Enzymen wie Glykogensynthase-Kinase 3β (GSK3β). Letzteres ist relevant, da GSK3β an der Tau-Phosphorylierung und damit an zentralen pathologischen Prozessen der Alzheimer-Krankheit beteiligt ist.Eine aktuelle, in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlichte, Untersuchung der Harvard Medical School analysierte postmortem gewonnene Gehirnproben mithilfe der hochauflösenden induktiv gekoppelten Plasma-Massenspektrometrie (ICP-MS). Die Ergebnisse: Der Lithiumgehalt im präfrontalen Kortex war bei Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und insbesondere bei Alzheimer signifikant niedriger als bei kognitiv gesunden Kontrollen. Parallel gemessene Blutproben derselben Personen zeigten dagegen keine Unterschiede – ein Hinweis auf eine lokal begrenzte Störung der Lithiumhomöostase im Gehirn.
Ergänzend wurde mithilfe von Laser-Mikrodissektion und Elementanalyse gezeigt, dass sich Lithium vermehrt in Amyloid-Plaques anreichert. Dadurch könnte dem umgebenden Gewebe funktionell verfügbares Lithium entzogen werden. Ob diese Bindung eine Ursache oder Folge der Pathologie ist, bleibt offen.
Epidemiologische Hinweise und Beobachtungsdaten beim Menschen
Lithium im TrinkwasserEine dänische Kohortenstudie mit rund 800.000 Personen und mehr als zehnjähriger Nachbeobachtung fand: In Regionen mit höherem natürlichem Lithiumgehalt im Trinkwasser traten Demenzen statistisch signifikant seltener auf. Der Effekt war moderat und beweist keinen ursächlichen Zusammenhang. Solche Korrelationen können durch zahlreiche Umwelt- oder Lebensstilfaktoren beeinflusst werden.
Langzeiteinnahme bei bipolarer Störung
Mehrere Beobachtungsstudien berichten, dass Patienten, die im Rahmen einer bipolaren Erkrankung über viele Jahre Lithium erhielten, ein deutlich reduziertes Risiko hatten, an Demenz oder Alzheimer zu erkranken. Auch hier sind Störfaktoren möglich: Personen in stabiler psychiatrischer Langzeitbehandlung unterscheiden sich oft in vielen weiteren Aspekten von der Allgemeinbevölkerung.
Randomisierte Studie bei milder kognitiver Beeinträchtigung (MCI)
Eine kleine, randomisierte, placebokontrollierte Studie untersuchte die Wirkung einer niedrig dosierten Lithiumgabe bei älteren Patienten mit MCI. Die Lithiumgruppe zeigte über mehrere Monate eine Stabilisierung der kognitiven Leistungsfähigkeit und eine verzögerte Progression zu Alzheimer. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl und begrenzten Studiendauer sind diese Ergebnisse als Proof-of-Concept zu werten, nicht als klinischer Nachweis.
Zwischenfazit: Die Gesamtheit dieser Humanbefunde liefert konsistente, aber nicht ausreichende Hinweise auf einen potenziellen Schutzeffekt. Für belastbare Aussagen sind große, methodisch robuste Phase-IIb/III-Studien mit klar definierten klinischen Endpunkten erforderlich.
Präklinische Evidenz aus Tiermodellen
Tierexperimentelle Arbeiten erlauben kontrollierte Eingriffe in den Lithiumhaushalt und die gezielte Untersuchung pathophysiologischer Mechanismen. In der oben zitierten, von der Harvard Medical School durchgeführten Studie (LINK), wurden Mäuse mit lithiumarmer Ernährung versorgt. Diese entwickelten mehrere Veränderungen, die charakteristisch für die Alzheimer-Pathologie sind:- Zunahme der Amyloid-Ablagerungen
- Verstärkte Tau-Phosphorylierung
- Verlust von Synapsen und Myelin
- Aktivierung entzündlicher Prozesse im Nervengewebe
Lithiumorotat als Prüfsubstanz
In der aktuellen präklinischen Forschungsarbeit kam nicht das psychiatrisch etablierte Lithiumcarbonat zum Einsatz, sondern Lithiumorotat, ein organisches Lithiumsalz. Grund: Lithiumcarbonat erfordert vergleichsweise hohe Dosierungen, um wirksame Konzentrationen im Gehirn zu erreichen, und ist mit einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen (Nierenschäden, Schilddrüsenfunktionsstörungen, bei Überdosierung auch neurotoxische Symptome bis hin zu Krampfanfällen) verbunden.Lithiumorotat zeigte in Mausmodellen:
- Höhere Bioverfügbarkeit im gesunden Hirngewebe (präklinischer Befund, bisher nicht am Menschen bestätigt)
- Geringere Ablagerung in Amyloid-Plaques
- Effektive Gewebespiegel bereits bei sehr niedriger Dosierung
Ergebnisse - Lithiumorotat ist in Mausmodellen präventiv und therapeutisch gut wirksam!
- Präventiv: Nahezu vollständige Verhinderung von Plaquebildung und Tau-Pathologie – ein Resultat, das in dieser Deutlichkeit bei anderen präklinisch getesteten Strategien selten erreicht wird.
- Therapeutisch: Bei bestehender Erkrankung deutliche Verbesserungen in Synapsenstruktur, Myelinintegrität und Entzündungsmarkern, was im Tiermodell über das hinausgeht, was viele andere getestete Wirkstoffklassen bislang zeigen konnten.
Klinische Perspektiven und offene Fragen
Sollten sich die präklinischen Befunde in kontrollierten Humanstudien bestätigen, könnte ein Lithiumorotat-Ansatz aufgrund des potenziell günstigen Nebenwirkungsprofils und der Möglichkeit einer Frühintervention einen vielversprechenden Ansatz darstellen. Dennoch bestehen wesentliche offene Fragen:- Übertragbarkeit: Sind die in Tiermodellen beobachteten Effekte beim Menschen reproduzierbar?
- Zielpopulation: Profitieren insbesondere Menschen mit nachgewiesenem niedrigen Lithiumgehalt im Gehirn oder solche mit genetischen Risikofaktoren (z. B. ApoE4)?
- Dosis und Dauer: Welche Dosis ist optimal, um klinisch relevante Effekte zu erzielen, ohne Nebenwirkungen zu provozieren?
- Langzeitsicherheit: Wie verhält sich Lithiumorotat bei jahrelanger Einnahme in Bezug auf Nieren, Schilddrüse und neurologische Funktionen?
- Messmethoden: Welche Biomarker (z. B. Liquor-Lithium, MRT-basierte Verfahren) eignen sich, um den Lithiumstatus im Gehirn zu überwachen?
Ökonomische und regulatorische Aspekte
Pharmazeutische Unternehmen dürften an Lithiumorotat nur begrenzt wirtschaftliches Interesse haben. Der Wirkstoff ist alt, patentfrei und kostengünstig herstellbar, was die potenzielle Gewinnspanne trotz hoher Entwicklungskosten einschränkt.Für die klinische Entwicklung kämen daher vor allem Einrichtungen und Initiativen infrage, die nicht gewinnorientiert arbeiten:
- Universitäten und spezialisierte Forschungseinrichtungen
- Öffentliche Förderprogramme
- Gemeinnützige Stiftungen mit Schwerpunkt auf Gesundheitsforschung
Vorsicht bei Selbstmedikation
In einigen Ländern, nicht in Deutschland oder in der EU, ist Lithiumorotat als Nahrungsergänzungsmittel frei erhältlich. Dies führt zu dem irrigen Eindruck, dass es ohne ärztliche Aufsicht sicher einsetzbar sei. Fachgesellschaften und Kliniker warnen jedoch ausdrücklich: Auch geringe Lithiumdosen können – insbesondere bei unsachgemäßer Anwendung oder in Kombination mit bestimmten Medikamenten – gesundheitliche Schäden verursachen.Eine Selbstmedikation ist daher nicht empfehlenswert. Jede Anwendung sollte ärztlich indiziert und überwacht werden, idealerweise im Rahmen einer klinischen Studie.
Zusammenfassung
- Lithiumgehalt im Gehirn: Bei Alzheimer-Patienten erniedrigt; möglicherweise lokal dysreguliert und teilweise in Amyloid-Plaques gebunden.
- Epidemiologie: Höhere Lithiumkonzentrationen im Trinkwasser korrelieren mit geringerer Demenzrate (Kausalität nicht belegt).
- Beobachtungsdaten: Langzeittherapie mit Lithium bei bipolarer Störung assoziiert mit niedrigerem Demenzrisiko.
- Klinische Pilotstudie: Niedrig dosiertes Lithium stabilisierte bei MCI-Patienten die Kognition.
- Tiermodelle: Lithiummangel verstärkt Alzheimer-typische Pathologien; Lithiumorotat in sehr niedriger Dosis zeigt präventive und therapeutische Effekte.
- Offen: Übertragbarkeit auf den Menschen, optimale Dosis, Langzeitsicherheit, Zielgruppen.
- Ökonomie: Geringes kommerzielles Interesse; geeignet für öffentlich geförderte Forschung.
- Praxis: Keine Selbstmedikation – Einsatz nur unter ärztlicher Kontrolle.
Fazit
Die vorliegenden Daten – sowohl aus Humanstudien als auch aus Tiermodellen – deuten auf eine mögliche neuroprotektive Rolle von Lithium hin. Besonders interessant ist Lithiumorotat, das in präklinischen Studien schon bei sehr niedrigen Dosen biologische Effekte zeigte.Ein klinischer Durchbruch ist damit jedoch noch nicht erzielt. Erst methodisch hochwertige, groß angelegte Humanstudien können klären, ob sich dieser Ansatz in Prävention oder Therapie tatsächlich bewährt. Bis dahin gilt: Hypothese plausibel, Evidenz begrenzt – Forschung dringend erforderlich!
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
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