Wasserstoff im Faktencheck: Wo er sinnvoll ist – und wo nicht. Blog#194

Wasserstoff (H2) wird vielfach als vielseitig nutzbarer Sekundärenergieträger betrachtet und als tragende Säule einer klimaneutralen Zukunft gehandelt. Im Gegensatz zu Primärenergieträgern wie Sonne oder Wind muss Wasserstoff jedoch unter hohem Energieaufwand erzeugt werden, derzeit überwiegend aus fossilen Rohstoffen, zunehmend aber auch mittels Elektrolyse unter Einsatz von erneuerbarem Strom. Auch Deutschland misst dem Energieträger eine zentrale Rolle auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität bis 2045 bei. 

Dieser Beitrag analysiert Potenziale, Hemmnisse und realistische Anwendungsperspektiven von Wasserstoff mit besonderem Fokus auf die deutsche Energiewende.

Was ist Wasserstoff? Eigenschaften und Funktion als Energieträger

Ein fundiertes Verständnis der physikalischen Eigenschaften und der unterschiedlichen Produktionswege von Wasserstoff ist essenziell, um seinen Beitrag zur Energiewende realistisch einschätzen zu können. Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff – die sogenannte "Farbenlehre" liefert wichtige Informationen über die jeweilige Herstellungsart und deren Klimarelevanz.

Wasserstoff, chemisches Symbol H, ist das häufigste Element im Universum. In molekularer Form (H₂) dient er als Energieträger, indem er chemische Energie speichert, die entweder durch Verbrennung – unter Bildung von Wasser (H₂O) – oder durch elektrochemische Prozesse in Brennstoffzellen freigesetzt werden kann. Letztere erzeugen dabei sowohl elektrische Energie als auch nutzbare Wärme. Zu den herausragenden Eigenschaften von Wasserstoff zählt seine hohe gravimetrische Energiedichte (Energie pro Masse), was ihn insbesondere für mobile Anwendungen interessant macht. Gleichzeitig weist er jedoch eine sehr geringe volumetrische Energiedichte bei Umgebungsbedingungen auf, was Lagerung und Transport erschwert und energieaufwändige Verdichtung oder Verflüssigung erfordert. Hinzu kommt eine hohe Entzündlichkeit sowie ein weiter Zündbereich in Luft (ca. 4–75 Vol.-%), weshalb beim Umgang mit Wasserstoff erhöhte Sicherheitsmaßnahmen notwendig sind.

Die Farbenlehre des Wasserstoffs: Herstellungsmethoden und CO2-Bilanzen
  • Grauer Wasserstoff: Die derzeit dominierende Produktionsmethode ist die Dampfreformierung (Steam Methane Reforming, SMR) von Erdgas (CH4). Günstig (<2 €/kg), aber klimaschädlich mit „katastrophaler“ Klimabilanz (~10 t CO2/t H2).
  • Blauer Wasserstoff: Wie grauer H2, jedoch mit CO2-Abscheidung (Carbon Capture and Storage, CCS). Reduzierte Emissionen (~1-3 t CO2/t H2), aber abhängig von Speicherstabilität und Methanleckagen.
  • Türkiser Wasserstoff: Entsteht durch Methanpyrolyse. Potenziell CO2-neutral, aber noch nicht marktreif.
  • Grüner Wasserstoff: Elektrolyse mit Ökostrom. Klimaneutral bei zusätzlicher Stromerzeugung, aber teuer (4–10 €/kg) und energieintensiv (ca. 50–55 kWh/kg H2).
Diese Klassifikation ist mehr als technisch – sie spiegelt die Herausforderungen einer nachhaltigen Energiepolitik wider. Während grauer Wasserstoff aktuell dominiert, markiert grüner Wasserstoff das strategische Ziel. Blaue und türkise Alternativen fungieren als Übergangslösungen mit eigenen Unsicherheiten.

Wo kann grüner Wasserstoff sinnvoll eingesetzt werden?

Grüner Wasserstoff kann dort eine entscheidende Rolle spielen, wo direkte Elektrifizierung an physikalische, technische oder wirtschaftliche Grenzen stößt. Seine besondere Flexibilität erlaubt sektorübergreifende Anwendungen:
  • Dekarbonisierungspotenzial: Grüner Wasserstoff ermöglicht CO₂-freie Prozesse in emissionsintensiven Branchen wie Stahl, Zement und Chemie sowie im Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr – überall dort, wo Strom nicht direkt genutzt werden kann.
  • Sektorenkopplung: Wasserstoff verbindet Strom, Wärme, Verkehr und Industrie. Er ermöglicht es, erneuerbare Energie in chemischer Form zu speichern und flexibel über Sektorengrenzen hinweg zu nutzen.
  • Energiespeicherung: Als saisonaler Speicher kann Wasserstoff Überschüsse aus Wind- und Solaranlagen langfristig verfügbar machen und damit Versorgungssicherheit und Netzstabilität verbessern.
  • Rohstoffnutzung: In der chemischen Industrie ersetzt grüner Wasserstoff fossile Ausgangsstoffe – etwa bei der Herstellung von Ammoniak oder Methanol – und verbessert so die Klimabilanz dieser Grundstoffe.

Energieverbrauch und Wasserstoff: Eine globale und nationale Perspektive

Um die Rolle von Wasserstoff einordnen zu können, ist ein Blick auf die aktuellen Energieverbrauchsdaten und den heutigen Stellenwert von Wasserstoff – insbesondere von grünem Wasserstoff – unerlässlich.

Globale Betrachtung: Der globale Endenergieverbrauch lag im Jahr 2022 bei rund 167.800 TWh, davon stammten etwa 82 % aus fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Erdgas. Der weltweite Wasserstoffverbrauch belief sich im gleichen Jahr auf rund 3.135 TWh, was einem Anteil von etwa 1,87 % am globalen Energieverbrauch entspricht. Entscheidender als der mengenmäßige Beitrag ist jedoch die Art der Erzeugung: Über 99 % der globalen H₂-Produktion (3.135 TWh) basierten 2022 auf fossilen Quellen, ohne CO₂-Abscheidung. Der Anteil von CO₂-armem Wasserstoff – also grünem, blauem oder türkisem Wasserstoff – lag bei lediglich rund 1 % (33 TWh). Diese Zahlen verdeutlichen die erhebliche Diskrepanz zwischen dem derzeitigen Status quo und den ambitionierten Zielen einer dekarbonisierten Wasserstoffwirtschaft.

Für Deutschland zeigt sich ein vergleichbares Bild, wenngleich auf niedrigerem Absolutniveau. Der Wasserstoffverbrauch lag im Jahr 2022 bei etwa 55 TWh und entfiel überwiegend auf industrielle Anwendungen. Dieser Einsatz führte zu rund 19 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen – ein erheblicher Beitrag zum nationalen Treibhausgasausstoß. Auch in Deutschland dominiert nach wie vor fossiler Wasserstoff: Rund 94 % des im Jahr 2022 verwendeten Wasserstoffs wurde durch Verfahren auf Basis fossiler Energieträger erzeugt. Der Anteil von grünem Wasserstoff, also solcher aus Elektrolyse mit erneuerbarem Strom, war mit lediglich 0,4 % verschwindend gering – das entspricht etwa 0,17 TWh beziehungsweise rund 5.000 Tonnen.

Die aktuellen Verbrauchsdaten für Wasserstoff auf globaler wie nationaler Ebene verdeutlichen eine eklatante Lücke zwischen politischem Anspruch und realer Entwicklung: Der Anteil von grünem Wasserstoff bleibt verschwindend gering, während fossile Produktionsverfahren weiterhin dominieren. Der oft zitierte "Hochlauf" einer grünen Wasserstoffwirtschaft erweist sich bislang als schleppend und strukturell unzureichend unterlegt.

Die Herstellung von grünem Wasserstoff erfordert jedoch erhebliche Mengen erneuerbarer Energie. Ohne einen gleichzeitig massiv beschleunigten Ausbau von Wind- und Solarstrom droht eine Konkurrenzsituation zu anderen Anwendungen wie Elektromobilität oder Wärmepumpen. Dies könnte sich negativ auf Strompreise, Netzstabilität und das Erreichen der Klimaziele auswirken.

Deutschlands Wasserstoff-Ambitionen: Pläne, Hürden und der kritische Blick auf die Realität

Deutschland verfolgt ambitionierte Ziele beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, wie sie in der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) und ihren Fortschreibungen formuliert sind. Der Weg von der politischen Vision zur praktischen Umsetzung ist jedoch von erheblichen Herausforderungen geprägt – nachfolgend stichwortartig die wichtigsten:
  • Hohe Produktionskosten für grünen Wasserstoff
  • Rückstand beim Ausbau der Elektrolysekapazitäten
  • Fehlende Transport- und Speicherinfrastruktur
  • Unklare Finanzierungsmodelle für das geplante H2-Kernnetz
  • Fachkräftemangel und technologische Engpässe
  • Unsicherheit bei der gesellschaftlichen Akzeptanz und lokalen Beteiligung
  • Langsame Genehmigungsverfahren und fehlende regulatorische Klarheit
  • Abhängigkeit von Importen und geopolitischen Risiken

Kritische Diskussion und realistische Perspektiven

Grüner Wasserstoff ist teuer, ineffizient und ressourcenintensiv. Teuer bezieht sich auf die aktuell hohen Herstellungskosten von 4–10 €/kg, bedingt durch den notwendigen Einsatz großer Mengen erneuerbaren Stroms sowie die begrenzte Skalierung der Elektrolysetechnologie. Ineffizient bedeutet, dass bei der Erzeugung, Speicherung, Verteilung und Nutzung von Wasserstoff erhebliche Energieverluste auftreten – der Gesamtwirkungsgrad von der Stromerzeugung bis zur Endnutzung liegt oft unter 30 %. Ressourcenintensiv meint sowohl den hohen Strombedarf (rund 50–55 kWh pro Kilogramm H₂) als auch die benötigte Menge an deionisiertem Wasser, die pro Tonne Wasserstoff rund 9 Tonnen beträgt. Eine energetische Nutzung ergibt daher vor allem dort Sinn, wo keine effizienteren Alternativen bestehen. Effizienzverluste, hoher Stromverbrauch und Umweltwirkungen durch Leckagen – insbesondere bei flüchtigem Wasserstoff und Zwischenprodukten wie Ammoniak – dürfen nicht unterschätzt werden. Hinzu kommt, dass Wasser ein kritischer Inputfaktor ist, insbesondere in ariden Regionen, die gleichzeitig als Exportstandorte vorgesehen sind.

Aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit und hohen Kosten grünen Wasserstoffs ist eine strategische Priorisierung seines Einsatzes entscheidend. Im Fokus sollten daher Anwendungen stehen, bei denen Wasserstoff aus technischer und klimatischer Sicht derzeit alternativlos ist – die sogenannten „No-Regret“-Anwendungen.

Industrieprozesse: Etwa Stahl- oder Düngemittelproduktion.
  • CO₂-Einsparpotenzial: bis zu 95 % ggü. konventionellen Verfahren
  • Einsatzreife: Hoch (Pilot- und erste Industrieanlagen im Betrieb)
Schwerlastverkehr: Langstrecken-LKW, Busse, Bahnen.
  • CO₂-Einsparpotenzial: 60–80 %
  • Einsatzreife: Mittel (Demonstrationsflotten, begrenzte Infrastruktur)
Schiffs- und Flugverkehr: In Form von Ammoniak, Methanol, synthetischen E-Fuels.
  • CO₂-Einsparpotenzial: 70–90 %
  • Einsatzreife: Niedrig bis mittel (Pilotprojekte, regulatorische Hürden)
Langzeitspeicherung: Saisonale Stromspeicherung und Rückverstromung.
  • CO₂-Einsparpotenzial: Stark systemabhängig (bei Substitution fossiler Reservekapazitäten hoch)
  • Einsatzreife: Gering (hohe Kosten, begrenzte Umsetzungspraxis)
Nicht geeignete Anwendungen für grünen Wasserstoff:
  • Gebäudewärme: Wärmepumpen sind effizienter.
  • PKW: Batterieelektrische Fahrzeuge sind überlegen.

Fazit

  • Im Jahr 2022 machte Wasserstoff weniger als 2 % des globalen Primärenergieverbrauchs aus – und davon entfielen über 99 % auf klimaschädlichen grauen Wasserstoff. Der Anteil von grünem Wasserstoff lag bei nur etwa 0,02 %.
  • Grüner Wasserstoff ist teuer, ineffizient und ressourcenintensiv. Sein Einsatz sollte sich auf Anwendungen beschränken, bei denen direkte Elektrifizierung technisch nicht möglich ist.
  • Ein breiter Einsatz im Alltag – etwa zum Heizen von Gebäuden oder im privaten PKW-Verkehr – ist in den nächsten 15 bis 25 Jahren weder technisch sinnvoll noch wirtschaftlich vertretbar. Der dafür notwendige Energie- und Infrastrukturaufwand stünde in keinem Verhältnis zum Nutzen.

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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
Auf diesem Blog teile ich meine persönlichen Meinungen und Erfahrungen . Es ist wichtig zu betonen, dass ich weder Arzt noch Finanzberater bin. Jegliche Informationen, die ich in meinem Blog vorstelle, stellen weder Anlageempfehlungen noch Therapieempfehlungen dar. Für fundierte Entscheidungen in Bezug auf Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen empfehle ichsich umfassend zu informieren und bei Bedarf einen professioniellen Experten zu konsultieren.
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