Gehirn-Shuttles: Neue Wege für wirksame Therapien im Gehirn. Blog#202

Nach Jahrzehnten intensiver Forschung scheint der Durchbruch in der Behandlung neurologischer Erkrankungen endlich in greifbarer Nähe. Das größte Hindernis war stets die Blut-Hirn-Schranke (BHS) – ein komplexes Schutzsystem, das das Gehirn vor Schadstoffen schützt, gleichzeitig jedoch die Entwicklung wirksamer Medikamente massiv erschwert. Dank innovativer Technologien wie den sogenannten "Gehirn-Shuttles" eröffnen sich nun völlig neue Möglichkeiten für die gezielte Wirkstoffabgabe ins Gehirn – mit Potenzial für die Behandlung von Alzheimer, seltenen genetischen Erkrankungen und bestimmten Krebsarten.

Die Blut-Hirn-Schranke: Schutz und Herausforderung zugleich

Das Gehirn wird von einem Netzwerk aus rund 650 Kilometern Blutgefäßen versorgt. Die Endothelzellen dieser Gefäße bilden die selektive Blut-Hirn-Schranke, die lediglich bestimmte Moleküle wie Sauerstoff oder lipophile Substanzen passieren lässt. Andere essenzielle Stoffe – etwa Glukose oder Eisen – benötigen spezifische Transportproteine, um in das zentrale Nervensystem zu gelangen.

Lange Zeit versuchte man, Medikamente so zu gestalten, dass sie klein und fettlöslich genug sind, um die BHS zu durchdringen. Ein klassisches Beispiel ist das lipophile Benzodiazepin Diazepam. Doch bei großen Molekülen wie Enzymen oder Antikörpern stößt dieser Ansatz an natürliche Grenzen.

Grenzen aktueller Alzheimer-Therapien

Die jüngst von der FDA zugelassenen Antikörper gegen Alzheimer zielen erstmals direkt auf eine potenzielle Krankheitsursache: die Amyloid-Plaques. Dennoch gelangen weniger als 0,1 % der intravenös verabreichten Wirkstoffe ins Gehirn. Der vermutete Umweg über die Zerebrospinalflüssigkeit ist ineffizient und risikobehaftet. Eine ungleichmäßige Verteilung und potenzielle Entzündungen durch vaskuläres Amyloid zeigen deutlich: Effizientere Verabreichungswege sind notwendig, um die Wirkung im zentralen Nervensystem zu steigern.

Durchbruch durch natürliche Transportmechanismen 

Ein vielversprechender Forschungsansatz nutzt körpereigene Transportsysteme an der Blut-Hirn-Schranke gezielt aus. Im Zentrum steht der Transferrin-Rezeptor – ein Protein auf den Endothelzellen der Hirnkapillaren, das unter normalen Bedingungen Eisenionen in das Gehirn transportiert.

Therapeutische Moleküle können kovalent oder rekombinant mit Liganden oder Antikörperfragmenten verbunden werden, die spezifisch an diesen Rezeptor binden. So werden selbst große Wirkstoffe per rezeptorvermittelter Transzytose (ein zellulärer Transportmechanismus, bei dem Moleküle durch Endothelzellen hindurchgeschleust werden) sicher ins zentrale Nervensystem eingeschleust. Entscheidend für den Erfolg ist dabei eine hohe Affinität bei gleichzeitig geringer Retention in den Zellen, um eine gezielte Freisetzung im Gehirngewebe zu ermöglichen.

Neben dem Transferrin-Rezeptor rückt auch der CD98hc-Transporter zunehmend in den Fokus. Dabei handelt es sich um die schwere Untereinheit eines Aminosäuretransport-Komplexes, der an der BHS stark exprimiert wird. Im Vergleich zum Transferrin-Rezeptor ist die Transportrate zwar geringer, doch gerade das sorgt für eine verlängerte Präsenz des Wirkstoffs im perivaskulären Raum – ideal bei extrazellulären Zielstrukturen. Durch den gezielten Einsatz von CD98hc-Shuttles lassen sich Antikörper länger im Gehirn halten und präziser steuern – insbesondere, da CD98hc regional begrenzt vorkommt. 

Pionierprojekte mit klinischem Erfolg: Hunter-Syndrom

Ein Meilenstein war 2021 die Zulassung von IZCARGO® in Japan – einer Enzymersatztherapie für das Hunter-Syndrom, entwickelt von JCR Pharmaceuticals. Das Hunter-Syndrom (Mukopolysaccharidose Typ II) ist eine schwerwiegende, seltene und X-chromosomal vererbte lysosomale Speicherkrankheit, verursacht durch einen Mangel an Iduronat-2-Sulfatase (IDS). Die Erkrankung betrifft fast ausschließlich männliche Patienten und führt unbehandelt zu fortschreitender geistiger und körperlicher Behinderung, Organvergrößerungen und zu einer deutlich verkürzten Lebenserwartung.

Dank der J-Brain Cargo®-Technologie – einer gezielten Transportmethode über den Transferrin-Rezeptor – kann das fehlende Enzym nun erstmals ins Gehirn gelangen. In einer Phase-2/3-Studie sank bei allen 28 Patienten nach 52 Wochen die Heparansulfat-Konzentration im Liquor deutlich – ein Hinweis auf den möglichen Therapieerfolg im Gehirn.

Alzheimer: Trontinemab macht Hoffnung

Trontinemab, ein innovativer Antikörper von Roche, kombiniert ein Gehirn-Shuttle mit zielgerichteter Alzheimer-Wirkung. In einer Phase-1b/2a-Studie erreichten 81 % der Patienten in der 3,6 mg/kg-Dosisgruppe nach 28 Wochen stark reduzierte Amyloid-Werte – bei gleichzeitig minimalen Nebenwirkungen im Gehirn.

Auch andere Alzheimer-Marker wie Gesamt-Tau, pTau181, pTau217 und Neurogranin zeigten in Plasma und Liquor signifikante Rückgänge. Aufgrund der vielversprechenden Daten plant Roche, noch im Jahr 2025 mit einer Phase-3-Studie zu starten.

Weitere Anwendungsgebiete

Die Forschung untersucht aktuell weitere potenzielle Einsatzbereiche für Gehirn-Shuttles. Im Mittelpunkt stehen unter anderem lysosomale Speicherkrankheiten, neurodegenerative Erkrankungen und Hirnmetastasen bei Brustkrebs. Medikamente wie Herceptin, die bislang nicht in ausreichender Konzentration das Gehirn erreichen konnten, könnten mithilfe dieser Technologie künftig auch im zentralen Nervensystem wirken.

JCR Pharmaceuticals hat bereits mehrere internationale Partnerschaften geschlossen – darunter eine Kooperation mit Alexion (Teil von AstraZeneca), um die J-Brain Cargo®-Technologie auch für Oligonukleotid-Therapien gegen neurodegenerative Erkrankungen nutzbar zu machen.

Fazit

Gehirn-Shuttles könnten den Beginn einer neuen Phase gezielter Behandlungen im Gehirn markieren. Mit der ersten zugelassenen Therapie für das Hunter-Syndrom in Japan und aussichtsreichen Alzheimer-Kandidaten wie Trontinemab zeigt sich, dass der klinische Durchbruch in greifbare Nähe rückt.

Durch die Vielfalt an Transportmechanismen – wie Transferrin-Rezeptor, CD98hc und zukünftig möglicherweise auch Exosomen – lassen sich Therapien besser an verschiedene neurologische Erkrankungen anpassen. Für viele Patientinnen und Patienten weltweit könnten Gehirn-Shuttles so eine gezieltere und wirksamere Behandlung ermöglichen.
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
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