App-basierte Behandlungsmethoden: Evidenz und Chancen. Blog#204

Digitale Gesundheitsanwendungen haben sich von einfachen Wellness-Tools zu medizinisch anerkannten Therapieinstrumenten entwickelt. Deutschland nimmt mit seinem DiGA-System (Digitale Gesundheitsanwendungen) international eine Vorreiterrolle ein und ermöglicht erstmals die Verschreibung und Erstattung digitaler Therapeutika durch gesetzliche Krankenkassen.

Das deutsche DiGA-System als internationaler Benchmark

Das 2020 eingeführte DiGA-Fast-Track-Verfahren des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stellt einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitsversorgung dar. Innerhalb von drei Monaten prüft das BfArM Gesundheits-Apps auf Sicherheit, Wirksamkeit, Datenschutz und Qualität. Erfolgreiche Anwendungen werden in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen und können ärztlich verordnet werden.

Ein zentraler Erfolgsfaktor ist der gesetzlich verankerte Erstattungsanspruch: Nach erfolgreicher Listung übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen automatisch die Kosten – ein weltweit einzigartiges Modell, das nachhaltige Geschäftsmodelle ermöglicht.

Aktuelle Marktdaten und Entwicklung

Bis Ende 2024 waren 59 DiGAs (Digitale Gesundheitsanwendungen) im offiziellen Verzeichnis des BfArM gelistet – ein Zuwachs von etwa 20 % im Vergleich zum Vorjahr. Seit Einführung des Systems wurden rund 861.000 Freischaltcodes eingelöst. Allein im Jahr 2024 stieg die Nutzung im Vergleich zu 2023 um beeindruckende 85 %.

Die gesetzlichen Krankenkassen gaben bis Ende 2024 insgesamt 234 Millionen Euro für DiGAs aus. Für Versicherte entstehen dabei keine Kosten: Sie erhalten einen Freischaltcode, den sie einfach in der App eingeben können – die Abrechnung läuft direkt zwischen dem DiGA-Anbieter und der Krankenkasse.

In der Regel ist ein solcher Freischaltcode drei Monate lang gültig. Die Vergütung für die App-Nutzung durch die Krankenkassen liegt üblicherweise im ersten Jahr nach Zulassung der DiGA bei etwa 400–600 €. Dieses erste Jahr dient als Erprobungsphase, in der der Hersteller den Nutzen der App noch durch begleitende Studien nachweisen darf. Im sogenannten Folgejahr – also ab dem zweiten Jahr nach Zulassung – sinkt die Vergütung in der Regel auf etwa 226 €, da nun ein belastbarer Nutzennachweis vorliegen muss.

Die Indikationsverteilung spiegelt den Versorgungsbedarf wider: Psychische Erkrankungen dominieren das Angebot, gefolgt von Muskel-Skelett-Erkrankungen und Stoffwechselstörungen. Diese Verteilung zeigt, dass digitale Interventionen besonders dort wirksam sind, wo kontinuierliche Begleitung und Verhaltensänderungen erforderlich sind.

Wissenschaftliche Evidenz und klinische Wirksamkeit

Bei der Bewertung digitaler Gesundheitsanwendungen orientieren sich Studien an evidenzbasierten Kriterien, ähnlich denen in der Medikamentenentwicklung. Dazu zählen randomisierte kontrollierte Studien (RCT), prospektive Kohortenstudien und Real-World-Evidenz. Typische Endpunkte umfassen klinische Wirksamkeit, Patient-Reported Outcomes und gesundheitsökonomische Analysen. Studien-Designs folgen klar definierten Protokollen mit Kontrollgruppen und geeigneten statistischen Verfahren, um Verzerrungen zu minimieren und Reproduzierbarkeit zu sichern.
  • Psychische Erkrankungen: Die App Deprexis hat in mehreren Studien gezeigt, dass sie depressive Beschwerden deutlich lindern kann – besonders bei Menschen mit leichter bis mittelschwerer Depression. In einer Studie mit über 700 Teilnehmenden sank der Wert auf einer Depressionsskala nach acht Wochen im Schnitt um über fünf Punkte – das entspricht einer deutlich spürbaren Verbesserung der Stimmung und Lebensqualität. Auch die App HelloBetter Stress und Burnout hat in einer unabhängigen Untersuchung bewiesen, dass sie Stresssymptome deutlich verringern kann – und das auch noch ein halbes Jahr nach der Nutzung.
  • Stoffwechselerkrankungen: Die mySugr-App von Roche zeigte in Real-World-Studien bedeutsame Verbesserungen der Blutzuckerkontrolle. Nach sechs Monaten aktiver Nutzung sank der geschätzte HbA1c-Wert um 1,3 Prozentpunkte, was einer klinisch relevanten Verbesserung entspricht. Eine mexikanische Studie mit Typ-1-Diabetikern bestätigte diese Ergebnisse und zeigte anhaltende Verbesserungen über fünf Monate.
  • Adipositas-Behandlung: Die DiGA zanadio erreichte in einer randomisierten kontrollierten Studie der Universität Leipzig eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von 8 Prozent binnen zwölf Monaten. 57 Prozent der Teilnehmer reduzierten ihr Gewicht um mindestens 5 Prozent, während 31 Prozent sogar 10 Prozent oder mehr abnahmen. Real-World-Daten bestätigten diese Wirksamkeit unabhängig vom Geschlecht.
  • Rückenschmerzen: Die Rise-uP-Studie, ein vom Innovationsfonds gefördertes Projekt, untersuchte die Wirksamkeit digitaler Schmerztherapie bei Rückenschmerzen. Die Interventionsgruppe zeigte eine Schmerzreduktion von 46 Prozent gegenüber 24 Prozent in der Kontrollgruppe nach 12 Monaten. Die gesundheitsökonomische Analyse ergab eine Kosteneinsparung von 80 Prozent für die digitale Intervention.

Regulatorische Weiterentwicklungen

Das Digital-Gesetz 2024 erweiterte das DiGA-System erheblich. Erstmals können nun auch Medizinprodukte der Risikoklasse IIb aufgenommen werden, was komplexere digitale Therapeutika mit erweiterten Funktionen wie kontinuierlicher Fernüberwachung oder automatischen Alarmsystemen ermöglicht. Diese Produkte müssen jedoch strengere Anforderungen erfüllen, einschließlich prospektiver Vergleichsstudien zum Nachweis des medizinischen Nutzens.

Herausforderungen und kritische Betrachtung

Trotz der positiven Entwicklungen bestehen weiterhin Herausforderungen:
  • Nutzung und Adhärenz: Weniger als 20 % der Patienten schließen das dreimonatige DiGA-Programm vollständig ab, obwohl etwa zwei Drittel die App wöchentlich nutzen. Das macht deutlich, dass Nutzerführung und Motivation verbessert werden müssen.
  • Integration in die Versorgung: Die Integration digitaler Anwendungen in bestehende Behandlungspfade ist noch nicht flächendeckend gelungen. Viele Praxen kämpfen mit veralteten IT-Systemen und unzureichender Vernetzung, obwohl die elektronische Patientenakte und das E-Rezept wichtige Meilensteine darstellen.
  • Qualitätssicherung: Der GKV-Spitzenverband kritisiert das aktuelle System und fordert, dass nur DiGAs mit bereits nachgewiesenem medizinischem Nutzen aufgenommen werden sollten. Die derzeit mögliche vorläufige Aufnahme für bis zu 24 Monate ohne Wirksamkeitsnachweis wird als problematisch betrachtet.

Innovative Geschäftsmodelle

Die Branche entwickelt zunehmend outcome-basierte Vergütungsmodelle. Sword Health ist ein auf digitale Physiotherapie spezialisiertes Unternehmen, das Patienten mit muskulären und skelettalen Beschwerden betreut. 2024 führte Sword Health ein Outcome-Pricing-Modell ein, bei dem Kunden nur den vollen Preis zahlen, wenn messbare Gesundheitsverbesserungen erzielt werden. Dieses Modell richtet alle Akteure auf nachweisbare Behandlungserfolge aus und könnte wegweisend für die Branche werden.

Globale Marktentwicklung

Der weltweite Markt für digitale Therapeutika wächst rasant. Analysten prognostizieren ein Wachstum von 8,28 Milliarden US-Dollar (2024) auf 41,40 Milliarden US-Dollar bis 2033, was einer jährlichen Wachstumsrate von 18,26 Prozent entspricht. Treiber sind die Verlagerung hin zu wertorientierter Versorgung, Kooperationen zwischen Pharma- und Digital-Health-Unternehmen sowie regulatorische Förderung durch Programme wie das "Breakthrough Devices Program" der FDA.

Zukunftsperspektiven und Technologietrends

Digitale Gesundheitsanwendungen entwickeln sich rasant weiter. Eine wichtige Rolle spielen dabei Künstliche Intelligenz (KI), Telemedizin und sogenannte IoT (Internet-of-Things)-Geräte – also vernetzte Geräte wie smarte Sensoren, Fitnessarmbänder oder medizinische Messgeräte, die laufend Gesundheitsdaten erfassen und übers Internet übermitteln. Dank KI lassen sich Krankheiten genauer erkennen und Behandlungen besser auf den einzelnen Menschen abstimmen. Wearables und andere digitale Geräte ermöglichen es, die Gesundheit rund um die Uhr zu überwachen und Veränderungen frühzeitig zu erkennen.

Gleichzeitig gibt es noch wichtige offene Fragen: Wie sicher sind die gesammelten Daten? Wie gut funktionieren die Geräte mit bestehenden Systemen im Gesundheitswesen zusammen? Und wie lassen sich neue digitale Lösungen sinnvoll in Arztpraxen und Kliniken einbinden? Damit digitale Gesundheitsangebote wirklich im Alltag ankommen, braucht es eine kluge Verbindung aus technischer Innovation und bewährter medizinischer Praxis.

Fazit

  • Digitale Gesundheits-Apps entwickeln sich kontinuierlich weiter und können die medizinische Versorgung verbessern – vorausgesetzt, sie sind sorgfältig geprüft und ihr Nutzen ist wissenschaftlich belegt. Für Patientinnen und Patienten eröffnen sich neue Möglichkeiten, ihre Gesundheit aktiv mitzugestalten. 
  • Gleichzeitig entlasten gut eingesetzte Apps das Gesundheitssystem und schaffen Anreize für Anbieter, wirksame und alltagstaugliche Lösungen zu entwickeln.
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
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