Nachblutung ohne erkennbaren Grund? Wann eine Gerinnungsstörung vorliegen könnte. Blog#216
Solche Fälle sind keineswegs selten. Blutungen trotz unauffälliger Standardwerte könnten auf Störungen in Teilen der Blutgerinnung hindeuten, die von routinemäßigen Tests nicht erfasst werden. Die Thrombozytenzahl liefert Informationen über die Menge der Blutplättchen, Quick/INR misst die Geschwindigkeit der Gerinnung nach äußeren Verletzungen (extrinsisches System), aPTT erfasst das intrinsische System, das bei inneren Verletzungen aktiviert wird. Was dabei jedoch ausgeklammert wird, sind beispielsweise Funktionsstörungen der Thrombozyten selbst, Veränderungen des von-Willebrand-Faktors oder Probleme beim Abbau von Gerinnseln (Fibrinolyse).
- Am häufigsten ist das angeborene von-Willebrand-Syndrom, das rund 0,6–1,3 % der Bevölkerung betrifft, meist mit mildem Verlauf. Hierbei ist der von-Willebrand-Faktor gestört, der die Anhaftung der Thrombozyten unterstützt.
- Eine gestörte Thrombozytenfunktion kann jedoch auch durch Medikamente wie Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen oder andere nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), durch bestimmte Nahrungsergänzungsmittel wie Ginkgo oder hochdosierte Knoblauchextrakte, bei Nierenerkrankungen oder im Rahmen seltener Gefäßentzündungen (Vaskulitiden) auftreten.
- Typische Symptome sind häufiges Nasenbluten, leichte Hämatombildung, ausgeprägte Menstruationsblutungen oder Blutungen unmittelbar nach einem Eingriff.
- Leichte Formen der Hämophilie – also eine milde Verminderung der Gerinnungsfaktoren VIII (Hämophilie A) oder IX (Hämophilie B) – bleiben im Alltag meist unbemerkt, da sie in der Regel keine spontanen Blutungen verursachen. Auffällig werden sie oft erst im Zusammenhang mit Operationen, Zahnextraktionen oder größeren Verletzungen, wenn die Blutstillung verzögert ist.
- Auch ein Mangel an Faktor XI oder ein Vitamin-K-Mangel kann erst nach Eingriffen auffällig werden.
- Viele dieser Störungen bleiben in Standarduntersuchungen unerkannt und erfordern gezielte Labordiagnostik.
- Auch ein verfrühter Abbau von Blutgerinnseln – zum Beispiel bei einem seltenen Mangel an Plasminogen-Aktivator-Inhibitor 1 (PAI-1), im Rahmen von Lebererkrankungen oder durch bestimmte Tumorerkrankungen – kann zu Nachblutungen führen.
- Häufig erfolgt die Blutung zeitverzögert, nachdem die Wunde zunächst stabil erschien.
Wann ist eine genauere Abklärung angebracht?
- Wiederholten oder starken Nachblutungen trotz normaler Routinewerte,
- auffälliger Familienanamnese,
- ungeklärter Blutungsneigung vor geplanten Eingriffen,
- Verdacht auf seltene Störungen (z. B. PAI-1-Mangel, Faktor-XIII-Mangel, erworbenes von-Willebrand-Syndrom).
In spezialisierten hämostaseologischen Zentren lässt sich die zugrunde liegende Ursache meist durch eine differenzierte Diagnostik aufklären. Die daraus abgeleiteten Maßnahmen können vorbeugend oder therapeutisch sein – etwa die gezielte Substitution fehlender Gerinnungsfaktoren, die Gabe von Desmopressin (einem Hormon, das die Freisetzung von von-Willebrand-Faktor und Faktor VIII aus dem Gefäßendothel stimuliert) oder der Einsatz von Tranexamsäure, einem Antifibrinolytikum, das den vorzeitigen Abbau von Blutgerinnseln hemmt und die Blutstillung unterstützt.
Am Beginn der Diagnostik steht stets die sorgfältige Anamnese. Hinweise auf frühere Nachblutungen (z. B. nach Zahnextraktionen, Operationen oder Verletzungen), auffällige Menstruationsblutungen, leicht entstehende Hämatome oder ähnliche Probleme bei Familienangehörigen geben oft erste wichtige Hinweise. Ein hilfreiches Instrument zur strukturierten Erfassung solcher Symptome ist der sogenannte ISTH-Bleeding Assessment Tool („ISTH-Blutungsscore“), der auch international als Standard etabliert ist.
- Bestimmung des von-Willebrand-Faktors – sowohl dessen Konzentration als auch Funktion (Aktivität) – sowie Faktor VIII, da beide eng miteinander verbunden sind.
- Plättchenfunktionstests wie der PFA-100, die funktionelle Störungen der Thrombozyten erfassen können – etwa bei hereditären Defekten oder medikamentöser Hemmung.
- Analyse einzelner Gerinnungsfaktoren, beispielsweise Faktor XI oder Faktor XIII, die in Standardgerinnungstests wie aPTT oder Quick nicht erfasst werden.
- Untersuchungen der Fibrinolyse, etwa mittels ROTEM (Rotations-Thromboelastometrie) oder Euglobulin-Lysezeit, um zu erkennen, ob das Gerinnsel im Körper zu früh wieder abgebaut wird.
Fazit
- Wiederholte oder übermäßig starke Nachblutungen nach kleineren Eingriffen können auf bislang unerkannte Störungen der Blutstillung hindeuten – auch dann, wenn die Standardlaborwerte (Thrombozytenzahl, Quick/INR, aPTT) im Normbereich liegen.
- Eine strukturierte Anamnese in Kombination mit gezielter weiterführender Diagnostik in einer Spezialambulanz ermöglicht es, seltene, aber klinisch relevante Gerinnungsstörungen frühzeitig zu identifizieren.