App-basierte Behandlung bei Männern mit Harnwegsproblemen: Klinische Ergebnisse. Blog#203

Symptome der unteren Harnwege – wie häufiger Harndrang, nächtliches Wasserlassen (Nykturie), verzögerter Miktionsbeginn oder das Gefühl unvollständiger Blasenentleerung – beeinträchtigen bei vielen Männern ab dem 50. Lebensjahr die Lebensqualität. Konservative Maßnahmen werden in der Praxis oft unzureichend genutzt, während medikamentöse und invasive Therapien etabliert sind. Eine aktuelle klinische Studie untersucht, ob die App „Kranus Lutera“ als digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) eine wirksame Ergänzung bietet. Nachfolgend werden die erhobenen Daten vorgestellt, wissenschaftlich eingeordnet und mit medikamentösen Therapieergebnissen verglichen.

Epidemiologie und Ursachen

  • Prävalenz: Etwa 30–50 % der Männer ab 50 Jahren berichten in Deutschland über Symptome der unteren Harnwege; die Häufigkeit steigt mit zunehmendem Alter weiter an.
  • Pathophysiologie: Häufigste Ursache ist die benigne Prostatavergrößerung (BPH). Das Wachstum der Prostata verengt den Blasenausgang und führt zu Entleerungs- (z. B. verzögerter Miktion, Restharn) und Speicherbeschwerden (z. B. häufiger Harndrang, Nykturie).

Konservative und medikamentöse Therapieoptionen

  • Erstlinientherapie: Leitlinien empfehlen Beckenbodentraining und Verhaltensänderungen (z. B. Miktionstagebuch, Trinkmanagement) als Basis. Diese Maßnahmen werden jedoch in der Praxis nicht konsequent umgesetzt.
  • Medikamente: Bei moderaten bis schweren Symptomen oder unzureichender Wirkung konservativer Maßnahmen kommen α1-Adrenozeptorblocker (z. B. Tamsulosin), 5α-Reduktase-Inhibitoren (z. B. Finasterid), Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (z. B. Tadalafil) sowie bei ausgeprägten Speicherbeschwerden Antimuskarinika oder β3-Adrenozeptoragonisten zum Einsatz.
  • Invasive Verfahren: Bei refraktären Fällen oder hohem Progressionsrisiko stehen chirurgische und minimal-invasive Eingriffe zur Verfügung.

Studienziel und Design der App-basierten Behandlung

  • Studie: „A Randomized Trial of an App-Based Therapeutic for Lower Urinary Tract Symptoms“
  • Zentren: Universitätsklinikum Freiburg und Universitätsklinikum Halle
  • Zeitraum: Rekrutierung 2023–2024; Publikation 25. März 2025 im NEJM Evidence
  • Population: 237 Männer mit Symptomen der unteren Harnwege (mittleres Alter 58,4 ± 12,3 Jahre), Diagnosen reichten von BPH mit/ohne überaktive Blase bis isolierter überaktiver Blase
  • Design: Prospektiv, randomisiert (1:1), einfach verblindet, 12 Wochen Intervention

Beschreibung der App „Kranus Lutera"

  • Entwickler: Kranus Health GmbH, Deutschland, in Kooperation mit urologischen Expertinnen und Experten der Studienzentren
  • Zulassung: DiGA für 12 Wochen (90 Tage)
  • Verordnung und Kosten: Ärztliches Rezept; 670,49 € für 90 Tage, 100 % Erstattung durch gesetzliche Krankenkassen (private meist ebenfalls) oder Kostengarantie durch Hersteller bei Ablehnung
  • Anwendung: Initiale Einweisung in Praxis oder Klinik, Download und Profilanlage in der App
Module und Nutzung
  • Physiotherapie: Beckenbodentraining (3–5 Einheiten/Woche à 10–15 Minuten), Biofeedback-Sitzungen, Neuromotortraining mit Text-/Videoanleitungen; Erinnerungen und automatisches Feedback
  • Verhaltensmodifikation: Miktionstagebuch (tägliche Erfassung von Trinkmenge und Toilettengängen, initial mindestens eine Woche, dann in Intervallen), schrittweises Blasentraining, Harndrangkontrolle-Techniken
  • Lifestyle-Intervention: Tipps zu Koffein- und Flüssigkeitsmanagement, Gewichtsmanagement, Bewegung; tägliche Impulse und wöchentliche Module
  • Edukation: Wöchentliche Lektionen zu Anatomie, BPH und überaktiver Blase, Therapieoptionen und Selbstmanagement (je 5–10 Minuten)
  • Adaptives Feedback: Analyse der eingegebenen Daten, Anpassung der Übungen, wöchentliche Zusammenfassungen, Motivation und Adhärenzförderung

Primärer Endpunkt und Ergebnisse der klinischen Studie 

  • Endpunkt: Veränderung des International Prostate Symptom Score (IPSS) von Baseline bis Woche 12 (Skala 0–35; minimal klinisch relevanter Unterschied 3 Punkte)
  • Ergebnis: Interventionsgruppe: Least-Squares Mean IPSS-Änderung −7,0 Punkte (95 % CI: −8,1 bis −5,9; P < 0,001) im Vergleich zur Kontrollgruppe
  • Einordnung: Diese Reduktion übertrifft die klinisch relevante Schwelle deutlich und liegt in der Größenordnung oder oberhalb der Effekte vieler medikamentöser Therapien über kürzere Zeiträume

Vergleich mit medikamentösen Studien

Tamsulosin: Meta-Analysen zeigen IPSS-Reduktionen von ca. 2–4 Punkten gegenüber Placebo bei langfristiger Anwendung in Patienten mit moderaten bis schweren Symptomen. Eine Beobachtungsstudie mit Tamsulosin OCAS (kontrollierte Freisetzung) dokumentierte −9,4 ± 6,0 Punkte über durchschnittlich 13,7 Wochen.
Interpretation: Unterschiedliche Studiendesigns und Patientenselektionen (motivierte App-Nutzer, 12-Wochen-Dauer vs. längerfristige Pharmastudien) schränken direkte Vergleiche ein. Direkte Head-to-Head-Studien wären notwendig, um den praktischen Stellenwert eindeutig zu bestimmen.

Limitationen der App-Studie

  • Dauer: 12 Wochen erlaubt keine Aussagen zu Langzeitadhärenz und Dauerwirkung
  • Subgruppen: Fehlende Analysen, welche Module den größten Effekt erzielen
  • Patientenselektion: Motivierte, digital affine Teilnehmer, unklar, ob repräsentativ für Gesamtpopulation
  • Kosten-Nutzen: Hohe Erstattungskosten rechtfertigen Evaluation der Kosteneffizienz auf längere Sicht

Klinische Implikationen

  • Ressourcenschonung: In Regionen mit begrenzter urologischer Versorgung erlaubt die App standardisierte, patientenzentrierte Basisintervention
  • Kombination: Mögliche Kombination mit medikamentösen Therapien; Patienten sollten aufgeklärt werden über Eigenmaßnahmen (Beckenbodentraining, Miktionstagebuch, Trink- und Lebensstilmodifikationen) als Ergänzung oder Vorstufe
  • Kostenbewusstsein: Zwar 100 % erstattungsfähig, jedoch spürbarer Kostenaufwand; kostenbewusste Patienten können eigenverantwortlich einfache und kostenfreie Maßnahmen ausprobieren: zum Beispiel tägliches Beckenbodentraining, Führen eines Miktionstagebuchs, Anpassung von Trinkmenge und -zeiten, Reduktion von Koffein sowie moderate körperliche Aktivität und Entspannungstechniken. Fachgesellschaften bieten detaillierte Empfehlungen zur Umsetzung dieser Maßnahmen (z. B. EAU-Leitlinien zu LUTS: LINK und DGU-Leitlinie BPH: LINK).

Ausblick

  • Zukünftige Studien: Direkte Vergleiche mit Standardtherapien, Kombinationsansätze, Langzeiteffekte und Adhärenz, Kostenanalyse, Real-World-Daten
  • Personalisierung: Identifikation von Patientensubgruppen, die besonders profitieren (z. B. nach Schweregrad oder Komorbidität)
  • Technische Weiterentwicklung: Integration neuer Sensorik oder KI-gestützter Anpassungsalgorithmen zur weiteren Optimierung

Fazit

  • Die Studie belegt, dass die App „Kranus Lutera“ eine klinisch relevante Verbesserung der Symptome der unteren Harnwege erzielt, vergleichbar mit etablierten medikamentösen Ansätzen über ähnliche Zeiträume. 
  • Langfristige Daten und direkte Vergleichsstudien fehlen derzeit noch.
  • Kostenbewusste Patienten sollten vor Verwendung der App einfache und kostenfreie Maßnahmen ausprobieren.
____________________________________________________________________________________________________
Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
Auf diesem Blog teile ich meine persönlichen Meinungen und Erfahrungen . Es ist wichtig zu betonen, dass ich weder Arzt noch Finanzberater bin. Jegliche Informationen, die ich in meinem Blog vorstelle, stellen weder Anlageempfehlungen noch Therapieempfehlungen dar. Für fundierte Entscheidungen in Bezug auf Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen empfehle ichsich umfassend zu informieren und bei Bedarf einen professioniellen Experten zu konsultieren.

Posts

Steueroptimierung für Dein Aktien-ETF-Portfolio! Blog#87

Der Interne Zinsfuß und seine Bedeutung für Aktien-Anleger! Blog#67

Vermögensaufbau und Altersvorsorge – meine Erfahrungen der letzten 35 Jahre! Blog#2

NNC2215: Ein intelligentes Insulin zur Transformation der Diabetesbehandlung! Blog#127

Paxlovid - eine hochwirksame Pille für Covid-19? Blog#1

„Die with Zero“: Die Kunst, Geld für Lebenserlebnisse zu nutzen. Blog#92

Aktien-Weltportfolio mit ETFs! Blog#45

Wegovy® (Semaglutid) - ein neues, gut wirksames Medikament zur Gewichtsreduktion! Blog#13

Overnight Oats: Wissenschaftliche Erkenntnisse zu gesunden Haferflocken. Blog#151

Persönlicher Rückblick auf das Börsenjahr 2024 und Ausblick 2025! Blog#144